Medien & Gesellschaft

Die Größten ihrer Zunft

Die Männer an der Seitenlinie sind schon lange keine Übungsleiter mehr, die unter der Woche das Training leiten, gerne die Mannschaft auch mal mit Waldläufen quälen und für das Spiel am Wochenende elf Männer für die Startaufstellung auswählen. Fußballtrainer zu sein, bedeutet heutzutage viel mehr als Training und Taktik. Die Pep Guardiolas, Jose Mourinhos und Jürgen Klopps dieser Welt sind Flaggschiffe ihrer jeweiligen Klubs, sie sind Superstars eines weltweiten Business und verantwortlich für alles, vor allem für den Misserfolg, wenn ihre Teams einmal nicht die gewünschten Ergebnisse liefern. Obgleich sie in starkem Maße davon abhängig sind, ob ein Ball vom Pfosten zufälligerweise zurück ins Feld springt oder es sich doch noch überlegt, über die Linie zu rollen, ob ein Spieler seinem Gegenspieler geistesgegenwärtig die entscheidende Zehntelsekunde voraus ist oder wieder einmal gepennt hat, werden sie entweder auf den Schultern ihrer Spieler durch die Stadt bis auf den Fußball-Olymp getragen oder mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.

Dementsprechend ist der Titel von Dietrich Schulze-Marmelings neuestem Werk passend gewählt: "Trainer! Die wichtigsten Männer im Fußball". Dies gilt allerdings in dieser extremen Ausprägung erst seit wenigen Jahrzehnten. Wie der Autor gleich zu Beginn seines Buches zu berichten vermag, war dies während der Anfänge des Fußballs gerade in dessen Mutterland beileibe nicht so. Auf die Arbeit eines Trainers wurde auf der britischen Insel ob der eigenen Überlegenheit geflissentlich verzichtet. So kam es, dass viele englische Fußballlehrer auf das europäische Festland übersiedelten und dort in Süddeutschland, Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei nachhaltig wirkten. Sie waren als Vertriebene gleichermaßen die Ursache dafür, dass die Mannschaften des Festlands bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts den Kickern von der Insel den Rang ablaufen konnten.

Dietrich Schulze-Marmeling ist ein erwiesener Experte des Fußballs und hat sein Wissen dank seiner sehr eingängigen Art zu schreiben an viele Freunde des runden Leders weitergegeben. In den letzten Jahrzehnten hat er beim Göttinger Werkstatt Verlag an die fünfzig Bücher publiziert, die zum einen seine lokalen Herzensangelegenheiten wie Preußen Münster oder Borussia Dortmund zum Gegenstand hatten, aber auch die ganz großen globalen Klubs und Protagonisten einer scharfen Analyse unterzogen. Aktuellen Themen wie der Fall Özil nach der letzten Weltmeisterschaft stehen stets fußballgeschichtliche Betrachtungen gegenüber, mit denen sich Schulze-Marmeling zu einem bedeutenden Historiker des Fußballs aufgeschwungen hat, wie beispielsweise die intensive Beschäftigung mit den jüdischen Wurzeln des FC Bayern München und seinem Präsidenten Kurt Landauer.

Insofern war das vorliegende Buch, in dem Schulze-Marmeling die Geschichte des Trainerberufs ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts bis ins Hier und Jetzt zusammenträgt, sicherlich nicht die allergrößte journalistische Herausforderung in seinem bisherigen Autorenleben. Als versierter Leser vieler seiner Bücher merkt man rasch, dass sich der Autor an einigen Stellen zügeln musste, um das Werk nicht über die schlussendlich produzierten 400 Seiten ausufern zu lassen. So wartet er in seinen Büchern über den FC Liverpool ("Reds"), Johan Cruyff ("Der König und sein Spiel") oder Pep "Guardiola" in den Betrachtungen englischer, niederländischer oder spanischer Trainerkunst mit deutlich mehr Tiefgang auf als in "Trainer!". Dies ist aber auch absolut in Ordnung, schließlich liegt der Fokus hier auf einem umfassenden Blick auf die Geschichte und die Entwicklung des Trainerberufs.

Schulze-Marmeling gelingt es, die Flughöhe hierfür ideal anzupassen, so dass alle Protagonisten an der Seitenlinie Eingang in das vorliegende Buch finden, ohne sich allzu sehr in den Spezifika ihrer trainingstechnischen Neuerungen zu suhlen. Man fühlt sich bei "Trainer!" erinnert an Jonathan Wilsons "Revolutionen auf dem Rasen", das die Fußballgeschichte aus einer ähnlichen Perspektive, derjenigen der taktischen Evolution, betrachtete.

Sicherlich hätte Schulze-Marmeling noch tagelang über Dori Kürschner, Bela Guttmann, Ernst Happel, Waleri Lobanowski oder Arrigo Sacchi plaudern können, doch bekommt der gemeine Fußballfan genau den Detaillevel geliefert, der es ihm ermöglicht, zukünftig kompetent über Fußballtrainer und die Geschichte dieses Berufsstandes mitzureden. Darüber hinaus bleiben beim Leser die Worte Schulze-Marmelings aus dem Vorwort haften, wo der Autor das Gebaren und den Aktionismus vieler Klub-Funktionäre anprangert, wenn es wieder mal darum geht, einer temporär weniger erfolgreichen Mannschaft einen neuen Trainer vorzusetzen. Mit der Gegenüberstellung der Freiburger und Hamburger Modelle werden die Thesen Schulze-Marmelings nachhaltig und sehr nachvollziehbar verankert.

Christoph Mahnel 
22.03.2021

 
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Das Buch:

Dietrich Schulze-Marmeling: Trainer! Die wichtigsten Männer im Fußball

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2021 400 S., € 29,90 ISBN: 978-3-7307-0520-9

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