Medien & Gesellschaft

Wie geht Trainer?

Eher zufällig und keinem wohlüberlegten Masterplan folgend wurde Roger Schmidt zu einem der gefragtesten deutschen Fußballtrainer. Nach einer unterklassigen Spielerkarriere standen zu Beginn nebenberufliche Engagements in der Oberliga Westfalen. Über die Stationen SC Paderborn und Österreichs Serienmeister Red Bull Salzburg kommend prägte Schmidt eine knapp dreijährige Phase bei Bayer 04 Leverkusen. Dort wurde er ob des attraktiven Fußballs, den er mit dem Werksklub auch auf europäischer Ebene spielen ließ, von einer breiten Öffentlichkeit interessiert wahrgenommen. Im Sommer 2017 unterlag Schmidt kurz nach dem Ende seiner Zeit in Leverkusen schließlich den Verlockungen des Geldes, das in China verdient werden kann. In seinen zwei Jahren bei Beijing Guoan formte er aus einer mittelmäßigen Truppe eine Top-Mannschaft der chinesischen Liga. In der kommenden Saison wird Schmidt das Traineramt beim PSV Eindhoven übernehmen, einem der erfolgreichsten und renommiertesten Vereine der Niederlande.

In der Vergangenheit war Roger Schmidt trotz des ansehnlichen Fußballs, den seine Mannschaften unter seiner Leitung spielten, nie als Sympathieträger in Erscheinung getreten. Sein unterkühlt und unnahbar erscheinender Charakter gepaart mit einigen unkontrollierten Ausbrüchen an der Seitenlinie schufen das Bild eines Trainers, dem man zwar Fußballsachverstand zuschrieb, der allerdings auf der emotionalen und empathischen Ebene erhebliche Defizite mitzubringen schien. Insbesondere sein Auftritt bei einem Bundesligaspiel gegen Borussia Dortmund, als er sich nach einem Platzverweis durch den Unparteiischen weigerte, den Innenraum zu verlassen, und die Partie daraufhin für mehrere Minuten unterbrochen werden musste, sind in den Erinnerungen der Fußballfans haften geblieben.

Nun ist Schmidt unter die Autoren gegangen und hat zusammen mit seinem persönlichen Assistenten Jörn Wolf ein Buch veröffentlicht: "Das Buch eines Trainers" lautet der Titel eines interessanten Einblicks in die tägliche Arbeit eines Vollbluttrainers. Schmidt und Wolf haben die zwei Jahre in China in Form eines Tagebuchs protokolliert. Darüber hinaus gibt Schmidt Einblicke zu vielen essentiellen Themenstellungen aus der Arbeit eines Fußballtrainers: Wie überträgt ein Trainer seine Auffassung vom Spiel auf die Mannschaft? Richtet er die Spieler nach seiner Philosophie aus oder passt er diese auf die Möglichkeiten des gegebenen Spielermaterials an? Wie agiert er an der Seitenlinie in kritischen Spielsituationen? Welche Ansprache wählt er für seine Mannschaft in welcher Situation? Wie führt er Einzelgespräche mit Spielern im Verlauf der Saison?

Das vorliegende Buch schließt rasch ab mit dem gängigen Bild des Roger Schmidt, das einem Funk und Fernsehen in den vergangenen Jahren vermittelt haben. Die Schilderungen aus der täglichen Arbeit und die Einblicke in Schmidts Auffassung vom Trainerhandwerk sind offen und ehrlich. Die Arbeitsergebnisse, Erfolge wie auch Misserfolge, sind weder als Lobhudeleien noch in Form von Schuldzuweisungen formuliert. Man hat als Leser das Gefühl, dass sich hier jemand jeden Tag selbstkritisch hinterfragt, darum weiß, dass man sich und sein Umfeld immer weiter optimieren kann, und darüber authentisch schreibt. Auch macht Schmidt keinen Hehl daraus, dass die Anbahnung sowie das letztliche Zustandekommen des chinesischen Abenteuers definitiv wirtschaftlichen Überlegungen unterlegen waren.

Über die Einblicke in zwei erfolgreiche Jahre bei Beijing Guoan wird der Leser mitgenommen auf die Reise in eine andere Welt. Die Zusammenarbeit im asiatischen Raum kennt Gepflogenheiten, Distanzen und Widrigkeiten, auf die man hierzulande nur rudimentär vorbereitet ist, wie beispielsweise die wenig rationale Selbstverständlichkeit, dass ein Trainer in ein, zwei Jahren aus einem stark limitierten Hühnerhaufen eine Mannschaft machen solle, die Titel gewinnen und in der Champions League spielen möge.

Doch "Das Buch eines Trainers" ist - wie der Titel vorgibt - mehr als ein orientalischer Erlebnisbericht. Natürlich bleiben die Bilder aus dem Reich der Mitte im Kopf des Lesers hängen, darüber hinaus ist die sportliche Essenz allerdings in den vielen Zwischenkapiteln aus der Feder Roger Schmidts enthalten. Sie zeigen, wie ein Top-Trainer tickt, welche Gedanken ihn primär treiben und wie er das Engagement bei einem Verein, eine Saison und jedes einzelne Spiel plant. Außerdem wird einem klar, dass im modernen Fußball die Zusammenarbeit von einem Trainer und seinem Team mit einer Mannschaft kein jahrzehntelanges Verhältnis mehr sein wird, sondern aufgrund der Intensität und der damit einhergehenden Abnutzung in der Regel nur noch als zwei- bis dreijähriges Projekt angelegt sein wird. Dies war schließlich auch bei Roger Schmidt der Fall und hinterlässt höchsten Respekt für dessen professionelle Auffassung, die ihn letztlich den Job gekostet, aber die Herzen seiner Spieler und Fans gesichert hat.

Christoph Mahnel 
15.06.2020

 
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Das Buch:

Roger Schmidt (mit Jörn Wolf): Das Buch eines Trainers

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2020 192 S., € 22,00 ISBN: 978-3-7307-0494-3

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