Medien & Gesellschaft

Wer einmal lügt!

In der Nacht vor dem Schlusstag der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi wird der Österreicher Johannes Dürr um den sportlichen Höhepunkt seiner Karriere beraubt. Der 50-Kilometer-Massenstart der Skilangläufer war seine Paradedisziplin, und die Hoffnungen auf eine Medaille, vielleicht sogar auf die Unsterblichkeit als Olympiasieger, waren nicht unberechtigt. Nach Jahren als Mitläufer in der Langläufer-Szene kannten Dürrs Ergebnisse in den letzten beiden Weltcup-Wintern vor Sotschi nur noch eine Richtung: nach oben, aufs Podium, zusammen mit den als unschlagbar geltenden Norwegern und Russen. Doch wie gewonnen, so zerronnen: Eine Doping-Probe, die Dürr kurz zuvor entnommen worden war, bestätigte das, was viele hinter vorgehaltener Hand schon immer zu wissen glaubten: Dürr hatte sich mittels EPO und Blutdoping einen unlauteren Vorteil verschafft.

Es folgten die üblichen Beteuerungen, unschuldig zu sein, wenig später erste teilweise Eingeständnisse. Der österreichische Skiverband reagierte scheinheilig, weil empört, und schloss Dürr aus Team und Verband aus. Die zweijährige Sperre durch den internationalen Skiverband folgte auf dem Fuße. Doch scheinbar wirkte diese läuternd auf den aus Niederösterreich stammenden Dürr. So fasste er den Entschluss, trotz Sperre die Langlaufbretter nicht in die Ecke zu stellen, sondern nach Ablauf seiner Sperre der Welt zu zeigen, dass auch ohne Doping gute Ergebnisse möglich seien. Dabei hatte er die gerade zu Ende gegangenen Nordischen Ski-Weltmeisterschaften im österreichischen Seefeld als sein großes Ziel auserkoren. Dass es letztlich nicht mit der Qualifikation für dieses Ereignis geklappt hatte, dürfte am Ende allerdings nur eine kleine Randnotiz dessen sein, was während der Tage von Seefeld noch folgen sollte.

Der erfolgreiche österreichische Autor Martin Prinz frönt neben dem Schreiben auch seinen Leidenschaften des Ausdauersports. So ist der im Jahre 1973 geborene Prinz bereits als erfolgreicher Marathonläufer in Erscheinung getreten, und auch auf den langen Kanten ist er sehr respektabel unterwegs. Im Zuge dessen hat er schon von sehr früh an die Karriere des 14 Jahre jüngeren Dürr intensiv beobachtet und in Teilen sogar persönlich begleitet. Aus dieser Verbindung heraus war die Idee geboren, den Comeback-Versuch des geläuterten Sünders mit einem Buchprojekt zu begleiten: "Der Weg zurück" lautet der Titel des kurz vor den Weltmeisterschaften in Seefeld erschienenen Buchs. Darin werden auf vielen Zeitebenen die Karrieren und Entwicklungen sowie die gemeinsamen Erlebnisse von Dürr und Prinz in einer sehr angenehmen Sprache zum Besten gegeben.

Man hätte durchaus Gefallen finden können an diesem ungewöhnlichen Buchprojekt, wäre Johannes Dürr nicht ein notorischer Baron Münchhausen. Natürlich kann man aus menschlichen Gesichtspunkten die Anfälligkeit eines Leistungssportlers nachvollziehen, der als großes Talent nach vielen Entbehrungen eines Tages ans Tor zur Weltspitze klopft, aber weiß, dass er nur mit unlauteren Mitteln dort Einlass finden wird. So weit, so gut auch dargestellt in "Der Weg zurück". Doch dass Dürr bei seinem mit Crowdfunding-Mitteln unterstützten Weg zurück als Saubermann weiterhin gedopt hat und mit Eigenblutanreicherungen versucht hat, sich einen Vorteil zu ergaunern, ist mehr als verwerflich. Da hat es sich nun wieder einmal bewahrheitet, dass es sich nicht lohnt, jemandem, der einmal gelogen hat, ein weiteres Mal zu vertrauen.

Bei der Razzia in Seefeld, der sogenannten "Operation Aderlass", gingen den Dopingfahndern mehrere WM-Teilnehmer ins Netz sowie Personen aus dem Umfeld eines Erfurter Dopingarztes. Und Johannes Dürr, der diese Operation mit den Geständnissen in seinem Buch und einer parallel erschienenen ARD-Dokumentation befeuert hatte. Ist es kalkulierte Dreistigkeit? Oder Naivität, gar Dummheit, zu glauben, dass man kein zweites Mal erwischt wird? Johannes Dürr hatte anno 2014 viele Menschen enttäuscht, aber sein zweiter Betrugsversuch wird noch viel nachhaltiger in den Köpfen der Menschen verharren. Viele Fragen bleiben offen: War der renommierte Autor etwa in Kenntnis der Dürr'schen Betrügereien? Wird sich der seriöse Insel Verlag rechtliche Schritte vorbehalten, um die Reputation zu wahren? Werden betrogene Spender von Dürrs Crowdfunding-Projekt "Der Weg zurück" ihre Euros auf Heller und Pfenning zurückfordern? Eins ist jedoch glasklar, nämlich, dass potentielle Leser besser ihre Finger von dieser Lügengeschichte lassen.

Christoph Mahnel 
18.03.2019

 
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Das Buch:

Martin Prinz, Johannes Dürr: Der Weg zurück. Eine Sporterzählung

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Berlin: Insel Verlag 2019 350 S., € 22,00 ISBN: 978-3-458-17801-9

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