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Momente für die Ewigkeit

Der zwielichtige Weltfußballverband besitzt mit seiner FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft das wahrscheinlich wertvollste Produkt auf diesem Erdball. Alle vier Jahre zieht die Ausführung des globalen Turniers, in dem die beste Fußballnation auf Erden gekürt wird, die gesamte Weltöffentlichkeit in ihren Bann. Zu bestimmten Zeiten scheint dann auch in vielen Ländern die Zeit stillzustehen, wenn heroische Schlachten geschlagen werden und schlichte Fußballspiele Einzug in die ewigen Chroniken der Menschheit finden. So wird jeder auch nur halbwegs fußballbegeisterte Mensch für sich selbst noch ganz genau wissen, wie und wo er dieses oder jene Spiele verfolgt hat und welche Gefühle und Gedanken ihm dabei durch seinen Körper schossen. Als deutscher Fußballfan hat man über ein gesamtes Menschenleben hinweg betrachtet durchaus die Gewissheit, dass man diesbezüglich mehr Glücksgefühle als Tränentäler erleben wird.

Sascha Theisen, Jahrgang 1970, gehört zu der Spezies Fußballfans, die wohl genau für diese Momente auf die Welt gekommen zu sein scheinen. Geprägt wurde sein weiteres Leben durch die "Nacht von Sevilla", das legendäre WM-Halbfinale von 1982 zwischen Jupp Derwalls Mannen und den begnadeten Franzosen um Michel Platini. Dies und insbesondere seinen Dank an Klaus Fischer, der mit seinem wunderbaren Fallrückzieher die scheinbar aussichtslos zurückliegenden Deutschen in der Verlängerung wieder auf 2:3 ranbrachte, übermittelt er ganz liebevoll im Vorwort seines neuesten Buches: "Heldentaten" lautet der Titel seines mit ganz viel Gefühl verfassten Gedenkbandes an die größten deutschen WM-Spiele aller Zeiten. Mit "Helden" hatte Theisen vor einigen Jahren bereits ein ähnliches Werk verfasst, in dem er einige Altäre für die größten deutschen WM-Helden aufgebaut hatte.

Der angefixte Leser wird sogleich das Inhaltsverzeichnis sondieren, um nachzuschauen, ob denn auch die größten eigenen WM-Spiele aller Zeiten darin Berücksichtigung gefunden haben. Und tatsächlich, Theisen hat mit großem Sachverstand alle legendären Schlachten und Bravourstücke in "Heldentaten" aufgeführt. Gleich zu Beginn wartet er aber mit drei Exoten auf, nämlich drei allesentscheidenden WM-Qualifikationsspielen, deren erfolgreiches Absolvieren Voraussetzung für eine spätere WM-Teilnahme war. Natürlich hat er hierbei auch das letzte Quali-Spiel zur WM 1990 während der Wendezeit im November 1989 näher beleuchtet. Der Gegner hieß Wales und musste unbedingt geschlagen werden, Thomas Häßler tat wie geheißen und legte damit den Grundstein für den späteren WM-Titel von Rom. Ganz am Ende seines Buches bringt Theisen unter anderem mit der Schmach von Cordoba noch neun Spiele unter, die leider nicht von Erfolg gekrönt waren und sicherlich von vielen Fans bereits erfolgreich verdrängt worden waren. Für diese Einstellung gebührt Theisen großer Respekt, denn auch unangenehme Wahrheiten wollen ausgesprochen werden.

Das Herzstück bilden jedoch achtzehn glorreiche WM-Spiele, die Stützpfeiler des deutschen Fußballs und dessen Ansehen in der Welt sind. Natürlich sind auch alle erfolgreichen Finalspiele darin enthalten, mit denen jeweils einer der bisherigen vier Sterne errungen wurde. Theisen belässt es bei den durchweg vier Seiten umfassenden Spielberichten nicht bei einer emotionsarmen Analyse des Geschehens oder der Nennung von Torschützen und Beteiligten. Bei jedem Spiel greift er sich eine ganz bestimmte Besonderheit des betroffenen Spiels heraus, mit der er das Kapitel einleitet und auch beschließt. Eingeteilt hat er die insgesamt 30 Spiele seines Buchs in sieben verschiedene Rubriken: So hat er beispielsweise die drei großen Elfmeterdramen der deutschen WM-Geschichte zusammengefasst oder legendäre Initialzündungen en bloc behandelt. Wer weiß, ob es ein so wunderbares deutsches Sommermärchen 2006 gegeben hätte, wenn in der Dortmunder Nachspielzeit gegen Polen nicht Odonkor die Seitenlinie entlang gesprintet wäre und anschließend Neuville zielsicher vollstreckt hätte? Oder wäre 1990 Deutschlands Einheit in Ost und West so fröhlich und hoffnungsfroh verlaufen, wenn Lothar Matthäus nicht im Auftaktmatch gegen Jugoslawien das Spiel seines Lebens abgeliefert hätte?

Fußballfreunde und auch -fanatiker werden "Heldentaten" sofort in ihr Herz schließen, da es gute Laune garantiert, wenn man sich - abgesehen von den acht "Bitteren Schlappen" - mal dieses oder jenes Spiel herauspickt und sich nochmal in dessen Dramatik hineinversetzt. Oft wird es auch nicht beim Lesen bleiben, sondern wird man parallel rasch Youtube starten, um dort vielleicht noch bewegte Bilder dazu einsehen zu können, gerne auch mit hochsympathisch antiquierten Originalkommentaren aus der Ära von Rolf Kramer und Dieter Kürten. Man mag überrascht sein, dass Theisen für diesen Streifzug durch die prall gefüllte deutsche WM-Geschichte mit nur 160 Seiten auskommt, aber darin liegt auch der wunderbare Charme des vorliegenden Werks, da es nicht ellenlange Spielberichte benötigt, um das Kopfkino anzustoßen und den Leser von Italia 90 oder dem deutschen Sommermärchen träumen zu lassen.

Christoph Mahnel
27.11.2017

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