Medien & Gesellschaft

Damals , als der "Glubb" beileibe kein Depp war

Den Titel "Rekordmeister" scheinen die Fußballer des FC Bayern München seit Anbeginn aller Tage in ihrem Briefkopf zu führen, doch weit gefehlt: Faktisch sind sie es erst seit 1987 nach Erringen ihres zehnten Meistertitels, zuvor hatte über sechzig Jahre der 1. FC Nürnberg diesen Titel inne. Mit seinen famosen fünf Deutschen Meisterschaften in den Goldenen Zwanzigern legten die "Glubberer", heute aus vielerlei Gründen oft mitleidig belächelt, hierfür den Grundstein. Als der Fußball in Deutschland laufen lernte und im europäischen Vergleich weit hinter den Ballkünstlern aus Österreich, Tschechien und Ungarn sowie den Fußball-Erfindern von der Insel herhinkte, waren die Männer in den weinroten Trikots das Flaggschiff des deutschen Fußballs. In allen Mannschaftsteilen tummelten sich gestandene Persönlichkeiten und feine Künstler, die dem runden Leder hinterherjagten.

Zwischen den Pfosten des "Club"-Tores stand in all diesen Jahren mit Heiner Stuhlfauth ein Dominator seiner Zeit, wie es ihn im deutschen Fußball erst wieder im Hier und Jetzt mit Manuel Neuer geben sollte. Stuhlfauth war mit seinem antizipierenden Spiel seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Mutig fing er in einer Ära, als fünf Stürmer in vorderster Front zwei etatmäßigen Verteidigern gegenüberstanden, viele Angriffe als "dritter Verteidiger" ab. Darüber hinaus war er mit Reflexen gesegnet, die ihm auch die absolute Hoheit über den eigenen Strafraum gaben. Mit Schiebermütze und grauem Wollpullover ausgestattet, muss er eine furchteinflößende Gestalt abgegeben haben, vor der viele Stürmer bereits vorm Torschuss kapitulierten. Wenn dann vor ihm auch noch eine gut geölte Angriffsmaschinerie ihren Dienst tat, dann kannte der "Club" zumindest in Deutschland kaum einen Konkurrenten auf Augenhöhe.

In "Stuhlfauths Zeiten" erfährt die erfolgreichste Ära des 1. FC Nürnberg eine Hommage durch Christoph Bausenwein. Der gebürtige Nürnberger hat sich in der Vergangenheit schon mit einigen Büchern rund um seinen "Club" verdient gemacht, doch auch darüber hinaus hat er mit seinen Biographien über Uli Hoeneß oder Joachim Löw sehr wertvolle Fußballbücher publiziert, die sowohl durch ihre gute Lesbarkeit als auch durch ihre hervorragende Recherche bestochen haben. Eine Veröffentlichung erfahren diese Bücher für den interessierten Fußballfreund stets im Göttinger Werkstatt Verlag. Auf über 350 Seiten nimmt Bausenwein den Leser mit auf eine beschwingte Reise durch die "Roaring Twenties" und entführt ihn in eine Epoche, als der Fußball wie auch heute die Massen begeisterte, der gesellschaftliche Zeitgeist hierzulande jedoch ein gänzlich anderer war. Dem Autor gelingt es ganz famos, die Erfolgsgeschichte des 1. FC Nürnberg in diesen zeitgeschichtlichen Hintergrund einzubetten.

Prägend für diese fußballerische Zeit war sicherlich die Debatte um die Professionalisierung des Fußballs. Während in anderen Ländern Fußball-Profis bereits gang und gäbe waren, war ein solches mit den Großkopferten des Deutschen Fußball-Bunds nicht zu machen. Bausenwein untermauert die Hitzigkeit dieser Diskussion mit zahlreichen Zitaten, die zeigen, mit welcher Abscheu man damals derartigen Ideen begegnete. Auch war seinerzeit der DFB pedantisch um einen regionalen Ausgleich bemüht, was die Zusammensetzung der Nationalmannschaft betraf. So wurde darauf geachtet, dass das Nord-Süd-Gefälle, sei es in einzelnen Länderspielen oder über mehrere Partien hinweg, tunlichst gewahrt wurde. Gemäß Bausenweins Schilderung muss ein Großteil des jährlichen Spielbetriebs vor Langeweile getrieft haben, wenn die regionalen Meisterschaften in unzähligen und schwach besetzten Ligen ausgespielt wurden. Von einer Bundesliga war man nicht nur tatsächlich ungefähr vierzig Jahre, sondern gedanklich sogar Lichtjahre entfernt.

Im Zentrum der Ausführungen des Autors steht immer wieder Heiner Stuhlfauth, der dank des vorliegenden Buchs einem breiteren Publikum nähergebracht wird. Natürlich findet sich darin auch eine umfängliche Schilderung von Stuhlfauths wohl bekanntestem Länderspiel im April 1929, dem 2:1-Sieg in Turin gegen die italienische Nationalmannschaft. Auch werden die beiden epischen Finalspiele um die deutsche Meisterschaft anno 1922 gegen den Hamburger SV mit allen verhandlungstechnischen Wendungen im Nachgang ausgebreitet. Darüber hinaus taucht der Autor sehr detailreich ab in eine Zeit, zu der es selbst zu einzelnen Torschützen hier und da widersprüchliche Aussagen gibt, wie es knapp hundert Jahre kaum tiefer möglich ist. Bausenwein hat sämtliche noch zur Verfügung stehenden Quellen, wie beispielsweise den ortsansässigen "Kicker", genutzt, um ein bestmögliches Bild zusammenzustellen, so dass selbst der versierteste Fußballfreund in "Stuhlfauths Zeiten" seine fußballerische Bildung beträchtlich ausbauen kann.

Christoph Mahnel
29.05.2017

 
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Das Buch:

Christoph Bausenwein: Stuhlfauths Zeiten - Die goldenen Jahre des Fußballs

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2017
352 S., € 24,90
ISBN: 978-3-7307-0322-9

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