Biographie

Dem Leben zurückgegeben ...

Das umfangreiche Werk Joachim K?hlers ist sorgf?ltig recherchiert und zeugt von einer hervorragenden Sachkenntnis. Der Autor hat nicht nur die Biographie des Komponisten, sondern auch sein ganzes geistiges Umfeld genau erkundet. Die Einfl?sse der zeitgen?ssischen Musik (Meyerbeer, Berlioz, Liszt) und der Philosophie (Hegel, Schelling, Schopenhauer) sind mit einbezogen, aber auch Wagners politische Abenteuer und die privaten Skandale kommen zu ihrem Recht. Sein Leben ist selber ein komplettes Theaterst?ck, in dem das grosse Ich stets auf der B?hne steht! Die Frauen spielen darin dramatische Szenen. Auch die wohlmeinenden G?nner und geplagten Gl?ubiger treten auf ? all jene Freunde, die ihm unter der Hand zu Feinden verkamen: Meyerbeer, Mendelssohn, Nietzsche und Liszt.

Wagner war hochsensibel und leicht verst?rbar. Das h?ngt auch mit seiner ungl?cklichen Jugend zusammen. Er hatte in der Familie keine Bleibe, wurde von Ort zu Ort verschickt. Zeitlebens haftete ihm diese Unrast an. Aber er liess sich nicht unterkriegen. In seinem Karrierestreben war er anpassungsf?hig: In Dresden gab er sich als republikanischen Barrikadenk?mpfer, in M?nchen begab er sich in den weihevollen Dienst eines K?nigs. Er begeisterte sich rasch f?r neue Freunde, aber er f?hlte sich auch immer wieder verkannt und verraten.

Seine Welt war emotionsgeladen und d?monisch besetzt. So ist es denn nicht zu verwundern, dass sich auch seine Opern zwischen Extremen bewegen, zwischen h?chsten Ekstasen der Liebe und finsteren D?mmerungen des Grauens. Die Liebe und der Tod bilden das Zentrum seiner Welt. Sie vereinen sich zum Liebestod seiner Heldenpaare, ihrem Untergang und ihrer Verkl?rung.

Wagners innere Biographie entspricht seiner ?usseren. Die pr?genden Gestalten seiner Jugend gehen archetypisch ein in sein Lebenswerk. Dazu geh?rt der "b?se" Stiefvater Ludwig Geyer, der vielleicht sogar sein wirklicher Vater gewesen ist. Aber auch die Mutter ist eine merkw?rdige Gestalt: Sie war schon fr?h von einem Prinzen verf?hrt worden und
verwickelte sich danach in Aff?ren, die sie geschickt zu verschleiern verstand. Um den jungen Richard scheint sie sich wenig gek?mmert zu haben. Den Gegenpol zur lieblosen Mutter bildet die liebevolle Schwester Rosalie, die ihm immer hingebend zur Seite stand. So kann es denn nicht verwundern, dass die weiblichen Engels- und Erl?sungsgestalten Wagners immer auch schwesterliche Z?ge tragen.

Der Stiefvater war ein leidenschaftlicher Theatermann und Maler, der das Theater nur als eine beliebige Unterhaltung begriff. Das reizte schon den jungen Richard zum Widerspruch. F?r ihn bedeutete das Theater letztlich die eigentliche Wirklichkeit ? wogegen ihm die Wirklichkeit des Alltags als ?des Theater erschien. Diese Himmel, diese H?llen, die er mit Hilfe altgermanischer Mythen aktualisierte ? diese heroischen Ekstasen und Unterg?nge waren ihm das wahre Dasein.

Wagner dichtete seine Operntexte selber. Ihre dichterische Qualit?t darf man f?glich bezweifeln. Aber das Wort war f?r ihn doch entscheidend. Es diente der Verk?ndigung der Wahrheit. Das Wort war prim?r, und es wurde zum Klang. In diesem Sinne schuf Wagner ganz neue "Gesamtkunstwerke". Sein Weg war nicht leicht. Viele schmerzliche Misserfolge gingen den sp?ten Erfolgen voraus.

Er empfand die Kunst, die er schuf, als das Absolute; sie verherrlichte die unbedingte Liebe und den tragischen Untergang. Seine Lichtgestalten scheiterten am Verrat einer boshaften Unterwelt. Dass sie nach und nach ?arische? Z?ge, die D?monen dagegen ?j?dische? Z?ge annahmen, war eine peinliche Fehlleistung Wagners, die lange Schatten warf, bis ins Dritte Reich hinein...

Er war ein hervorragender K?nstler, aber voller Widerspr?che. Er wollte Zukunftweisendes verk?nden, aber er griff dabei auf uralt vergangene Mythen zur?ck. Er wollte Absolutes gestalten ? und versank dabei in eine opiatische, bet?ubende Traumwelt. Er wollte die spontane Liebe verherrlichen ? und verstrickte sich selber in den Banden zweier problematischer Ehen. Seine letzte Muse, die gestrenge Cosima, wachte eifers?chtig ?ber all seinem Tun und Tr?umen.

Wagner wollte die Oper von der Beliebigkeit der Unterhaltung befreien und in den Raum der absoluten Freiheit erheben. Doch es kam anders. Cosima, seine selbsternannte Nachlassverwalterin, verkehrte diese Freiheit in ihr Gegenteil. Sie verg?tterte zielbewusst den verstorbenen Gatten und organisierte das Bayreuther Opern-Imperium: ein pomp?s-pathetisches Unternehmen mit priesterlicher Aura.

Doch Joachim K?hler hat die Gestalt Richard Wagners von der Patina dieser Beweihr?ucherung befreit; er hat sie dem Leben zur?ckgegeben.

hny
03.02.2002

 
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Das Buch:

Joachim Köhler: Der letzte der Titanen. Richard Wagners Leben und Werk

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München: Claassen 2001
870 S., € 35,00
ISBN: 3-5460-0273-3

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