Biographie
Eigensinn eines Eigenständigen
Biographien hat Roger Loewig nicht gemocht. Was sind Biographien? Eine zweite Beerdigung? Eine Exhumierung? Eine Reanimation? Wer nicht seine Autobiographie schreibt, f?rchtet, im Rollstuhl durch die Lebenslandschaft gefahren zu werden. Biographien sind ein Ersatz. Den hatte Loewig nicht n?tig. Dennoch macht nun eine Roger Loewig-Biographie die Runde. Wohlgemerkt "Eine Biographie", nicht d i e Biographie. So fein muss unterschieden werden, wenn ?ber den Maler, Zeichner, Schriftsteller geschrieben wird.
Roger Loewig, 1997 gestorben, ist keiner der allbekannten K?nstler, der vielzitierten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts geworden. Ausgerechnet er, an dem das Grauen des Jahrhunderts wie Pech klebte. So fest, dass ihm das Atmen schwer wurde und sein bisschen Lebensgl?ck immer auch Ungl?ck war. Kein einfaches Sein also f?r einen Menschen, dem nichts wesentlicher war als das bedr?ngte, bedrohte Sein der Menschen seiner Zeit. Alle Bedr?ngung und Bedrohung begann f?r den 1930 Geborenen mit dem Heranwachsen in der Nazi?ra, der Flucht aus Schlesien, dem Nichtankommenk?nnen in der DDR-Gesellschaft, der Inhaftierung, der Ausreise in den Westen Deutschlands. F?r Loewig keine einfachen, leicht vollziehbaren Fort- und ?berg?nge. Als pers?nlich Leiderfahrener war er empfindsam f?r das Leid Anderer. Vor allem der Juden, der Polen, der Ostdeutschen. Im symbolischen wie konkreten Sinne ein Gefangener, lebte, erlebte er sich als "ein noch f?hlendes Teilchen millionenfachen Gefangenenelends". Leben war ihm lebenslange Gefangenschaft. Sein Freigang war das freie, unabh?ngige k?nstlerisch-literarische Schaffen. Das verteidigte er vehement. Und gewann so Freude und verlor sie auch wieder. Und verprellte so Manchen, die sich ihm n?herten und es mit ihm wohl meinten.
Wer war Roger Loewig? Wie war er? Wirklich. Kann das eine Biographie beantworten? Es kann der Versuch gemacht werden. Gewagt hat den die aus M?nchen kommende Felice Fey. Ihr Vorteil ist ihr Nachteil, ihr Nachteil ihr Vorteil. Fey hat Loewig nicht gekannt. Die von ihr verfasste Biographie ist im engen Kontakt mit der Roger Loewig Gesellschaft entstanden. Eine treue, sich st?ndig entwickelnde Gemeinde, die sich Jahrzehnte um den Menschen und sein Werk k?mmerte wie seine Lebensgef?hrtin Crezentia Troike. Die Biographie erweitert und verl?ngert die verl?sslichen Bem?hungen der Gesellschaft, Loewig im Ged?chtnis der ?ffentlichkeit zu bewahren.
Die Biographie feiert niemand. Sie rechtfertigt nichts. Sie r?ckt nichts in ein besseres Licht. Sie ist nicht mal das Fundament f?r ein Denkmal. Besseres konnte Loewig nicht geschehen, im Interesse von Loewig. Das Buch ist eine andere Art Autobiographie. Zuerst in dem Teil, in dem das malerische und insbesondere das graphische Werk des K?nstlers reproduziert wird. Das Buch ist also eine Dauerausstellung, die zum geduldigen, achtsamen Betrachten der Kunst von Roger Loewig einl?dt. Das hat der K?nstler verdient, weil so eine Ann?herung an ihn m?glich ist, die er rechtfertigt.
Felice Fey hat ein Gesp?r f?r den Zweifler, Selbstzweifler. F?r den Menschen, der sich selbst bildet, der ein stets Auszubildender blieb. In ihrer Ann?herung an den Portr?tierten h?lt die Portr?tistin Distanz. Sie gibt nicht die Bescheidwissende, die besserwisserische Interpretin. Ihre Distanz als Verfasserin wird deutlich durch die Hereinnahme von literarischen Zeugnissen Loewigs, vor allem aber durch die aufgenommenen Selbstaussagen. Die dokumentarischen Teile dominieren die Biographie. Sie k?nnte auch als ein Dokument zu und ?ber und f?r Roger Loewig bezeichnet werden. Sie ist in ihrer Gesamtheit ein Portr?t des K?nstlers, nicht seiner K?rperlichkeit. Zu sehen ist der Kopf eines Eigenst?ndigen, der seinen Eigensinn bewahrte und sich so bew?hrte. Nicht nur um seiner selbst willen, sondern mit dem Willen, den Eigensinn zu st?rken, der Individualit?t ist und ihr Ma?.
Bernd Heimberger
30.05.2011