Biographie

Ein Blick auf die wahre Familie Mann

Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann (1875-1955) hat in seiner Kindheit nie viel Liebe von seinen Eltern erfahren. Der Vater gibt sich außerehelichen Vergnügungen hin, während die Mutter in ihrer Rolle als Dame des Hauses aufgeht. Sehnsucht, Liebe und Leidenschaft werden dem Kind Thomas als nichterstrebenswerte Gefühle vermittelt. Auch seine Frau Katia, geborene Katharina Hedwig Pringsheim, musste den hohen Anforderungen ihrer Eltern genügen. Ungünstige Voraussetzungen für die eigenen sechs Kinder, die bis zum Tod der Mutter 1980 ein existentieller Bestandteil ihres Lebens sein sollten. Die Literaturwissenschaftlerin Andrea Wüstner hat sich dieses Aspektes der Familie Mann angenommen, herausgekommen ist "Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam. Die Eltern Thomas und Katia Mann".

Die Bedingungen, ein Kind Thomas Manns zu sein, sind äußerst schlecht, denn einst befand der deutsche Großdichter: "Jemand wie ich sollte selbstverständlich keine Kinder in die Welt setzen." Seine Frau hingegen hat nach eigenen Angaben nur geheiratet, um endlich Kinder zu haben. Durchgesetzt hat sich Katia Mann, denn nur ein Jahr nach ihrem Kennenlernen wurde Tochter Erika geboren und innerhalb von fünf Jahren folgen drei weitere Geschwister. Als 1918 und 1919 die Nachzügler Elisabeth und Michael geboren werden, ist die Familie Mann komplett. Aber damit beginnen erst die Probleme. Thomas Mann unterscheidet in den Zuneigungsbekundungen zwischen seinen Kindern. So erinnert sich Michael Mann noch Jahrzehnte später daran, dass sein Vater ihm nie Geschichten vorlas. Er war lediglich Zaungast bei den allabendlichen Vorlesestunden für die Jüngste Elisabeth. Solche einschneidenden Erlebnisse prägen das Leben jedes der sechs Kinder.

In zehn Kapiteln spürt Wüstner den Gründen für das später so verpfuschte Dasein der Kinder als Erwachsene nach. Der Vater widmet sich seinen Buchprojekten, die Mutter geht in ihrer Rolle als Matriarchin der Familie auf. Doch statt für ein Wir-Gefühl zu sorgen, das die Familie stärkt und zu einer Einheit gegenüber Außenstehenden erscheinen lässt, entzweit sie die Geschwister untereinander. Das Cover des vorliegenden Buches ist Sinnbild für ein Leben, das die Manns für immer beibehalten sollten: Der Vater blickt mit strenger Miene in die Kamera, die Mutter wendet sich ab und richtet ihren Blick auf ein Blatt Papier, die Kinder gucken verkniffen, teilweise trotzig Richtung Kamera. Ein Bild von Entfremdung und Ferne, statt emotionaler Nähe lässt sich hier erkennen. Da ist es nicht verwunderlich, dass Klaus und Michael Mann später an den Vorstellungen der Eltern scheiterten und (vermutlich) Suizid begingen.

Andrea Wüstner hat in "Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam. Die Eltern Thomas und Katia Mann" ein detailreiches Porträt einer der bekanntesten Familien Deutschlands verfasst, das den Leser erschüttert und emotional aufwühlt. Mit Hilfe von Tagebucheinträgen und Briefen lässt die Autorin die Familienmitglieder höchstpersönlich zu Wort kommen und verleiht dem vorliegenden Buch zusätzliche Authentizität, die den Leser in einzelne Erlebnisse und Begebenheiten hineinzieht und zuweilen nachdenklich stimmt. Entgegen anderer Bücher, die sich mit der Familie Mann beschäftigen, schlägt Wüstner hier einen Plauderton an, der Fakten und Informationen geschickt zu vermitteln weiß und den Leser gleichzeitig hervorragend unterhält. Das vorliegende Buch liest sich beinahe wie ein biografischer Roman, der trotz des schwierigen Themas einen grundlegenden Zugang zur Familie Mann gewährt. Genauso wünscht man sich eine gute Biografie.

Susann Fleischer
19.04.2010

 
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Das Buch:

Andrea Wüstner: Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam. Die Eltern Thomas und Katia Mann

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München: Piper Verlag 2010
384 S., € 19,95
ISBN: 978-3-492-05283-2

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