Biographie

"Basti Fantasti" hat fertig!

Vor knapp drei Jahren wurde die deutsche Fußball-Welt in ihren Grundfesten erschüttert: Sebastian Deisler, das Wunderkind des Deutschen Fußballs und der von den Medien als Heilsbringer hochstilisierte Mittelfeldspieler des FC Bayern München, gab auf einer Pressekonferenz bekannt, mit sofortiger Wirkung vom Profifußball zurückzutreten. Deislers psychische Probleme, seine Depressionen, waren seit geraumer Zeit öffentlich gemacht worden, aber einen vollständigen Rückzug vom aktiven Sport hatten nur die wenigsten Beobachter erwartet. Damit wurde ein Schlussstrich unter eine Karriere gezogen, die anfangs in kürzester Zeit nach ganz oben geführt hatte und nach einer Vielzahl von Rückschlägen ganz unten endete.

Michael Rosentritt, ein Berliner Sportjournalist, hat seine persönliche Nähe zu Sebastian Deisler genutzt, um in vielen Gesprächen mit ihm zu ergründen, was dieser all die Jahre hinter seinem Panzer versteckt gehalten hatte und somit allen Umstehenden und der gesamten Öffentlichkeit verborgen geblieben war. Dabei ist ihm mit dem vorliegenden Buch "Sebastian Deisler: Zurück ins Leben" ein sehr eindrucksvoller Einblick in die Psyche des einstigen Shootingstars geglückt. Sehr gut werden von ihm die drei Problemfelder herausgearbeitet, die Deisler in der multimedialen Eventgesellschaft haben scheitern lassen: Zum einen sind dies Deislers labile Psyche und seine physische Verwundbarkeit, die in der Fülle und Schwere der daraus resultierenden Verletzungen ihresgleichen suchen dürfte, und zum anderen ist es die besondere Situation des deutschen Fußballs, in die Sebastian Deisler 19-jährig mit einem Paukenschlag hineinplatzte: Fußball-Deutschland ist im ausgehenden Jahrtausend nach dem Abgang der Welt- und Europameistergenerationen an einem historischen Tiefpunkt angelangt.

Deislers Traumtor gegen 1860 München am 6. März 1999 nach einem 60-Meter-Solo weckt spontan die Träume nach einem Messias für die geschundene Fußball-Nation. Schließlich hat man sich im Jahr zuvor bei der WM in Frankreich im Viertelfinale von Kroatien vorführen lassen und ist mit einem 0:3 gedemütigt nach Hause geschickt worden. Deislers Aufstieg fällt somit auf einen Nährboden, der ein in Deutschland bisher nie dagewesenes Interesse an einem einzelnen Fußballspieler bewirkte.

Im vorliegenden Buch legt Rosentritt den Werdegang Deislers über seine Profistationen Borussia Mönchengladbach, Hertha BSC Berlin und Bayern München chronologisch dar, stets unterbrochen durch klar markierte Einschübe, in denen er Gespräche und Szenerien seiner persönlichen Treffen mit Deisler schildert. Beinahe gespenstisch wirkt dabei Deislers grundlegende Ablehnung gegenüber jeglichen, von Rosentritt sporadisch gestreuten Neuigkeiten aus dem aktuellen Fußball-Tagesgeschäft. Sebastian Deisler hat sich nämlich einen strikten Entzug vom Fußball verordnet und sich bis heute so gut wie kein Fußballspiel mehr angeschaut, was die drastischste aller nur vorstellbaren Konsequenzen für einen ist, den seit Kindestagen immer nur das Spiel mit dem runden Leder angetrieben hat.

Sehr deutliche Worte finden Rosentritt und Deisler bezüglich dessen ersten großen Karriereschritts zur damals aufstrebenden Hertha nach Berlin: "Die Hertha war als Fußball-Klub damals so unfertig wie ich als Spieler." So lautet Deislers vernichtendes Urteil über seinen einstigen Arbeitgeber. Tatsächlich wurde zu seiner Zeit in Berlin die ganz große "Öffentlichmachung" der Person Sebastian Deisler vorangetrieben: Deisler als das Gesicht der Hauptstadt, Deisler als Zugmaschine für alles und jeden, schließlich die für Deisler selbst einem Unwort nahekommende Namensschöpfung "Basti Fantasti". Das vorliegende Buch vermeidet es bewusst, die Glanzpunkte in Deislers Karriere zu glorifizieren. Viel zu traurig sind die brutalen Rückschläge, die seiner Karriere in jedem Aufkeimen widerfahren sind. Deisler, immerhin fast ein Jahrzehnt lang Profi in der Fußball-Bundesliga, hat es aufgrund seiner Verletzungen nur auf ein einziges großes Turnier gebracht und dabei mit der Europameisterschaft 2000 in Holland und Belgien auch noch auf eines, das als der Tiefpunkt des Tiefpunktes in die Geschichte des deutschen Fußballs eingegangen ist.

Rosentritts "Sebastian Deisler: Zurück ins Leben" hinterlässt beim Leser einen überwiegend traurigen Eindruck. Da ist vordergründig das Jahrhundert-Talent, das bei weitem nicht sein volles Potential ausgeschöpft hat, darüber hinaus ist es der im positiven Sinne fußballverrückte Junge, der in ein Korsett gezwängt werden sollte, das doch nichts mit seinem Verständnis von Fußball zu tun hatte. Und da ist vor allem der Scherbenhaufen, den der ganze Auftritt Sebastian Deislers auf der Fußball-Bühne hinterlassen hat, nämlich einen Mann, der auch heute immer noch mit den Problemen kämpft, die der Zirkus Fußball und die 24/7-Medien-Gesellschaft in ihm kreierten. Rosentritt und Deisler schließen mit ihrem Buch aber auch eine Lücke im öffentlichen Interesse nach Informationen und Hintergründen zum Fall Deisler.

Dabei finden sie teilweise drastische Worte, ohne aber Mitspieler oder Funktionäre namentlich in die Pfanne zu hauen. Somit ist das vorliegende Buch keine Sensationsenthüllung, sondern stattdessen ein höchst lesenswertes Porträt über eine Karriere, die derart unglücklich verlaufen ist, dass man ihr als Leser selbst heute noch an vielen Stellen nachträglich einen anderen als den eingeschlagenen Weg gewünscht hätte. Aber auch dafür, die eigentliche Bedeutung des Fußballs auf ein angemessenes Maß zu reduzieren, hatte Sebastian Deisler, einst noch als Fußball-Profi auf einer Pressekonferenz die begierige Masse der Journalisten erzürnend, schon die passenden Worte gefunden: "Morgen ist ein anderer Tag, auch morgen geht die Sonne wieder auf."

Christoph Mahnel
02.11.2009

 
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Das Buch:

Michael Rosentritt: Sebastian Deisler. Zurück ins Leben - Die Geschichte eines Fußballspielers

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Hamburg: Edel Verlag 2009
256 S., € 22,95
ISBN: 978-3-941378-28-5

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