Biographie
Eine Biographie von seltener sprachlicher Brillanz und Detailliertheit
Von seinen Zeitgenossen entweder gefeiert oder für verrückt erklärt, gilt William Turner heute längst als der bedeutendste Künstler Großbritanniens. Kein anderer Maler des 19. Jahrhunderts hat die weitere Entwicklung der Kunst stärker geprägt als er - ob Impressionismus, Abstraktion oder Futurismus, Turner hat vieles vorweggenommen, was erst Jahrzehnte nach seinem Tod Furore machen sollte. William Turner (1775-1851), Sohn eines Barbiers, verfolgte seinen Traum von Anerkennung und Wohlstand erfolgreich mit den Mitteln der Kunst. Wohl keiner reiste und zeichnete so viel wie er, bediente einerseits gekonnt den Kunstmarkt und schuf zugleich Werke, von denen der Autor und Sammler William Beckford sagte, Turner "malt, als ob sein Hirn und seine Fantasie auf der Palette mit Seifenlauge und Schaum vermischt wären".
Zu William Turners 250. Geburtstag folgt Boris von Brauchitsch dem exzentrischen Maler in dieser atmosphärisch dichten Biografie vor gesellschaftspolitisch geweitetem Horizont auf seinen abenteuerlichen Reisen durch Europa, beobachtet ihn bei seinem Wettstreit mit den Großen der Kunstgeschichte, begleitet ihn beim Kampf für die Ebenbürtigkeit der Landschaftsmalerei und geht so manchem Geheimnis nach, das ihn umgibt. Und was man dabei erfährt, ist eine ganze, ganze Menge. Außerdem Informationen, die über Wikipedia hinausgehen, wo es zu Turner heißt: "Er gilt als der bedeutendste bildende Künstler Englands in der Epoche der Romantik. Landschaften und Seestücke waren seine bevorzugten Themen, dem Licht und der Atmosphäre galt dabei sein besonderes Interesse. Weil seine Darstellungsweise bis zur Entmaterialisierung des Gegenständlichen ging und er das Licht und die Farbe von Sonnenlicht, Feuer und Wasser in ganz neuartiger Weise zum eigentlichen Thema seiner Bilder machte, beeinflusste er stark die Impressionisten. Turner war ein schnell arbeitender und enorm produktiver Künstler. Der größte Teil seiner ausgestellten Gemälde ist in den Londoner Museen und anderen angelsächsischen Sammlungen zu sehen."
Eine Biographie, die den Leser auf jeder Seite zu überraschen weiß - dass Geschichte in Verbindung mit Kunst durchaus fesselnd sein kann wie Belletristik aus der Feder eines Meister-Schriftstellers, beweist Boris von Brauchitsch, seines Zeichens Kunsthistoriker, Kurator und Fotograf, mit jedem seiner Veröffentlichungen; darunter über Caspar David Friedrich, Leonardo da Vinci, Michelangelo oder Caravaggio, sowie die zahlreichen Publikationen zur Kunst- und Fotografiegeschichte sowie Bildbände zu Berlin und seiner Historie. Das alles macht die Lektüre von "William Turner" umso reizvoller, faszinierender und anregender. Man liest das vorliegende Buch wie im Rausch, verliert sich mit allen Sinnen in von Brauchitschs Worten und "Erzählungen" und vergisst über solch einen Genuss die Welt vollkommen um sich herum. Also, Chapeau!
Wenn es um (Künstler-)Biographien geht, ist der Insel/Suhrkamp-Verlag die erste Adresse für die meisten Leser. Und wie diese gehört auch die vorliegende zu William Turner unbedingt in jedes Bücherregal. Autor Boris von Brauchitsch bringt einem den englischen Ausnahme-Maler so viel näher als jedes andere vergleichbare Buch über den Romantiker. Gut 250 Buchseiten lesen sich wie ein spannender Roman und lässt einen Turner von seiner persönlichen Seite kennenlernen. Das hat absolute Seltenheit unter den Sachliteratur-Neuerscheinungen dieses Jahres!
Susann Fleischer
28.10.2024