Biographie
Weg vom Wundern
Das muß sein! Immer muß einer was "ans Licht" bringen. Also, was aus der "Dunkelheit" holen. Diesmal heißt der Eine Manfred Zittel. Er hat sich, offensichtlich, einen stattlichen Zettelkasten zum Thema Goethe zugelegt. Und hat ihn nicht im Jubiläumsjahr 1999 ausgeschüttet. Zum Vorteil des Verfassers Zittel und auch Goethens. Über den war 1999 eine Menge Quatsch mit Soße gegossen worden, wie Großmutter gern sagte. Jetzt ist Zeit für´s Zuhören. Für´s Zuhören sind die Zeilen von Zittel da. Was nicht auf Anhieb klar ist. Vieleher kommt rasch das Gefühl auf, mit dem Buch "Erste Lieb´ und Freundschaft. Goethes Leipziger Jahre" einen Fehlgriff getan zu haben. Nicht nur wegen des flaumigen Titels. Was Zittel dem Verfasser von „Dichtung und Wahrheit“ an geeigneter Stelle zum Vorwurf macht, nämlich die „manchmal etwas steife Diktion“, könnte auch zum Vorwurf gegen ihn werden. Ein weiterer Grund, verhalten zu reagieren ist der allzu kleine, allzu enge Druck des Buches. Das Schwanken muß überwunden werden, eine etwas stärkere Brille auf die Nasenflügel geschoben werden. So kann´s was werden mit der Beziehung zwischen Leser und Buch.
Das verspricht, sich um Versäumtes, Unbeachtetes, Unbedachtes zu kümmern. Schnell ist verklickert: Kümmerlich, was da bisher zu Goethes Studienjahren in Leipzig verbreitet wurde. Klischee´s und nochmals Klischee´s! Über Jahre, die für den 16jährigen "eingewickelten Knaben" begannen und am Tag seines 19. Geburtstages beendet wurden. Tatsächlich eine dramatische Phase für den Jungen, für das Leben Goethes? Oder eher die dramatisierte Phase eines jugendlichen, gefühlsintensiven Dichters und leidenschaftlichen Geistes? „Es scheint in der Tat verworren, was Wolfgang Goethe fühlt, erlebt, denkt und schreibt“, registriert der präzise Rechercheur Zittel, als der erfolglose Student kurz vor Abschluß des Leipzig-Aufenthaltes alles Gewonnene wieder verloren hat: die erste Liebe und den prägenden Freund. Als er nur ein Kranker ist, der schließlich anderthalb Jahre braucht, um im Frankfurter Elternhaus zu gesunden.
Zittel spart das Wort "Katastrophe" nicht aus. Er ist sicher, daß die Krise des jungen Goethe lebensbestimmender war als manches veräußerlichte Ereignis seiner Biographie. Manfred Zittel behauptet das nicht nur. Er belegt – zumeist durch Briefe – das Gesagte und Gemeinte. Und das mit der Haltung eines Menschen, der dem eher geforderten denn geförderten jungen Goethe mit aller gebotenen Achtsamkeit begegnet. Zittel ist solide, sorgfältig, ambitioniert. Er ist in viele Rollen gedrängt. Um den Wolfgang Goethe der Leipziger Jahre zu sehen, zu verstehen, zu beurteilen muß er Pädagoge, Literaturhistoriker, Literaturwissenschaftler, Germanist, Psychologe und Mediziner sein. Keine der Rollen möchte sich der Autor anmaßend aneignen. Er will nicht den Eindruck erwecken, er ist der Eine, der nun alle zu belehren hat. Zugleich kann und darf er den selbstgestellten Auftrag nicht kleinreden. ".... daß Goethes existenzielle Erfahrungen in Leipzig bisher in der Goethe-Literatur so wenig Beachtung und keine gründliche Erforschung gefunden haben", wundert Manfred Zittel. Seine Worte sind Widerworte, um über das Wundern hinauszukommen. Der Autor weiß: Nur wer Argumente hat überzeugt. Zittel ist nicht der galant-charmante Überzeuger der flotten feuilettonistischen Feder. Zittel hat seine Zeilen von der Position des überzeugten, überzeugenden Aufklärers her geschrieben. Eine Position von der aus tatsächlich einiges zu erhellen ist. Ob jetzt die Zeit dafür ist? Ob das jetzt Zittels Zeit ist? Sie wird sein, wenn zu lesen ist: Siehe Zittel! Das Buch "Erste Lieb´ und Freundschaft" ist in Verehrung für Goethe geschrieben.
Bernd Heimberger
30.01.2008