Glossen & Berichte

Im Frühjahr wartet buntes Roman-Potpourri auf die Leser

Hamburg (dpa) - Romanleser dürfen sich auf ein abwechslungsreiches Frühjahr freuen. Die Verlagsprogramme kündigen sowohl jede Menge neuer Werke international renommierter Autoren an als auch ein buntes Potpourri aus Büchern von weniger bekannten und noch zu entdeckenden Schriftstellern. Auffallend ist die wachsende Zahl der Romane deutschsprachiger Autoren.

Als einer der internationalen Autorenstars greift Philip Roth in «Die Demütigung» wieder einmal sein Lieblingsthema auf: Altern als tiefgreifende Identitätskrise. Mit Ironie und Eindringlichkeit schildert der hochdekorierte amerikanische Erzähler von einem Theaterschauspieler um die Sechzig, der der Selbstauflösung mit der Beziehung zur lesbischen Tochter eines Jugendfreundes zu entgehen sucht. Auch Roths Landsmann John Irving meldet sich mit einem opulenten, wie immer fabelhaften Werk, «Die letzte Nacht am Twisted River», zurück. Eine tragische Verwechslung zwingt in den 1950er Jahren einen Koch und seinen 12-jährigen Sohn zur Odyssee durch halb Amerika.

«Geheimnisse» birgt der neue Roman der gefeierten US-Autorin Joyce Carol Oates. Denn ihre Heldin, die einst auf einem Schiff auf der Flucht vor den Nazis geboren wurde und ein depressives Elternhaus sowie einen demütigenden Ehemann hinter sich gelassen hat, beschließt, mit allem zu brechen und sich neu zu erfinden. Nobelpreisträgerin Toni Morrison, eine der bedeutendsten Repräsentantinnen der afroamerikanischen Literatur, legt ihren in den USA hochgelobten Roman «Gnade» vor. Meisterhaft erzählt sie vom Schicksal der jungen Sklavin Florens, die sich mit anderen auf sich gestellten Frauen im 17. Jahrhundert durchzuschlagen bemüht.

Dennis Lehane («Mystic River») beschreibt in seinem Buch «Im Aufruhr früher Tage» die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem reichen Weißen und einem Schwarzen und stellt sie vor die Kulisse der kriegserschütterten US-Gesellschaft im Jahr 1918. Zu den bekannten englischsprachigen Autoren zählt auch Giles Foden («Der letzte König von Schottland»), der mit «Die Geometrie der Wolken» nun einen hochspannenden Wissenschaftsthriller präsentiert: Im Weltkriegsjahr 1944 versuchen Militärs an die meteorologische Formel eines pazifistischen Wissenschaftlers zu kommen, um den günstigsten Zeitpunkt für den Angriff der Alliierten ermitteln zu können.

Die erste Garde der deutschen Autoren ist in diesem Frühjahr unter anderem mit Christa Wolf vertreten. Ihren neuen Roman «Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud» versteht sie erneut als «ein Anschreiben gegen das Vergessen». Wolf folgt den Spuren der Künstler und Wissenschaftler, die auf der Flucht vor den Nazis im kalifornischen Exil ein «Weimar unter Palmen» fanden. Liebe und Ehe hat Erfolgsautor und Deutscher Buchpreisträger Arno Geiger («Es geht uns gut») in seinem neuen Werk «Alles über Sally» unter die Lupe genommen. Dabei ist das Werk als ein großer Roman über Liebe und Betrug in der Ära der Lebensabschnittspartnerschaft angelegt.

Ingeborg-Bachmann-Preisträger Thomas Lang («Am Seil») taucht in seinem neuen Roman «Bodenlos» in die widerstreitende Gefühlswelt eines 18-Jährigen in den 1980er Jahren ein. Das wohl autobiografisch angehauchte Werk lebt von der präzisen und dennoch feinfühligen Sprache des bemerkenswerten Autoren. Zum «Wohnquartett mit Querflöte» lädt Wolfgang Rüb seine Leser ein. In seinem nach Meinung von Elke Heidenreich «lebensklugen und witzigen» Buch prallen ein ost- und ein westdeutsches Paar aufeinander, woraus sich etliche Parabeln auf deutsche Befindlichkeiten zwanzig Jahre nach der Wende ergeben.

Stilistisch überzeugt auch der junge Kristof Magnusson mit seinem zweiten Roman «Das war ich nicht»: Die Lebensfäden eines Nachwuchsbankers, einer überdrüssigen Übersetzerin und eines international gefeierten Schriftstellers verheddern sich hier zu einem abenteuerlichen Wirrwarr. Eine dramatische Familiengeschichte hat Andreas Schäfer mit «Wir vier» geschrieben. Mit «glanzvoller Sprödigkeit» (Die Welt) fasst er in Worte, wie der Mord an einem Jungen dessen Eltern und den Bruder in einen Strudel sprachloser Verzweiflung stürzt.

In Frankreich ein monatelanger Bestseller und bereits verfilmt, wird Claudie Gallays berührender Roman «Die Brandungswelle» nun bald auch deutsche Bücherregale schmücken. Gallay entführt ihre Leser an die raue normannische Küste, wohin sich eine Frau im Schmerz um den Verlust des Mannes zurückgezogen hat und auf einen Fremden trifft, der einst seine Familie verloren hat.

Die italienische Literatur ist in diesem Frühjahr mit einem neuen Werk von Milena Agus («Die Frau im Mond») vertreten. In «Die Gräfin der Lüfte» begleitet sie drei Schwestern aus einer verarmten sardischen Adelsfamilie auf ihrer Suche nach dem großen Glück. Ebenfalls aus Sardinien stammt Michela Murgia, die mit den Heldinnen ihres Romans «Accabadora» - einer alten Frau und einem kleinen Mädchen - die Zerrissenheit Italiens zwischen Archaik und Moderne darzustellen versteht.

Wie ein Film von Pedro Almodóvar kommen die Erzählungen des Istanbulers Murathan Mungan daher. In «Städte aus Frauen» zeichnet der hochgelobte Autor der jüngeren türkischen Generation ein Panorama der Gesellschaft seines Heimatlandes. Mit «Meister der Wünsche», einer verzweigten Familiengeschichte aus Pakistan, will Ali Sethi die deutschen Leser überzeugen. Im Mittelpunkt stehen Zaki und seine rebellische Cousine, die in Lahore die stürmische politische Entwicklung ihres Landes erleben. Für sein Debüt «Die Informanten» über die Schattenjahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kolumbianer Juan Gabriel Vásquez von Mario Vargas Llosa mit viel Lob bedacht. Ein junger Journalist deckt ein dunkles Geheimnis auf, als er mit seinem Buch über eine deutsch-jüdische Familie auf Ablehnung stößt.

Zurück vom «Lachsfischen im Jemen» stellt der Brite Paul Torday nun «Charlie Summers» vor, einen naiven Pechvogel mit geringem Feingefühl und dickem Ego. Mit seinem trockenen Humor, Gespür für die Absurditäten des Lebens und beißender Gesellschaftskritik nimmt Torday die Hysterie der Finanzwelt am Vorabend der Krise auf die Schippe. Reichlich skurril geht es auch in dem Roman «Vatermord und andere Familienvergnügen» des Australiers Steve Toltz zu. Jasper, der Held, steht zwischen seinem Vater, einem unerträglichen Moralisten, und dessen bewundertem Bruder, der zwar ein Mörder, aber auch ein Volksheld ist. Ihn zu begleiten kommt einem vergnüglichen Ausflug an den Rand des Wahnsinns gleich.

Giles Foden: Die Geometrie der Wolken
Aufbau Verlag, Berlin
400 Seiten, 22,95 Euro
ISBN 978-3-3510-3292-0

Claude Gallay: Die Brandungswelle
btb Verlag, München
560 Seiten, 21,95 Euro
ISBN 978-3-4427-5242-3

Arno Geiger: Alles über Sally
Hanser Verlag, München
368 Seiten, 21,50 Euro
ISBN 978-3-4462-3484-0

John Irving: Letzte Nacht in Twisted River
Diogenes Verlag, Zürich
832 Seiten, 26,90 Euro
ISBN 978-3-2570-6747-7

Thomas Lang: Bodenlos
Beck Verlag, München
480 Seiten, 21,95 Euro
ISBN 978-3-4065-9070-2

Dennis Lehane: Im Aufruhr jener Tage
Ullstein Verlag, Berlin
610 Seiten, 22,95 Euro
ISBN 978-3-5500-8754-7

Kristof Magnusson: Das war ich nicht
Kunstmann Verlag, München
288 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-8889-7582-0

Toni Morrison: Gnade
Rowohlt Verlag, Reinbek
224 Seiten, 18,95 Euro
ISBN 978-3-4980-4512-8

Murathan Mungan: Städte aus Frauen
Blumenbar Verlag, Berlin
320 Seiten, 21,90 Euro
ISBN 978-3-9367-3865-0

Michela Murgia: Accabadora
Wagenbach Verlag, Berlin
176 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-8031-3226-0

Joyce Carol Oates: Geheimnisse
Fischer Verlag, Frankfurt
672 Seiten, 24,95 Euro
ISBN 978-3-1005-4008-9

Philip Roth: Die Demütigung
Hanser Verlag, München
144 Seiten, 15,90 Euro
ISBN 978-3-4462-3493-2

Wolfgang Rüb: Wohnquartett mit Querflöte
Bertelsmann Verlag, München
350 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-5705-8018-9

Andreas Schäfer:  Wir vier
Verlag Dumont, Köln
192 Seiten, 18,95 Euro
ISBN 978-3-8321-9574-8

Ali Sethi: Meister der Wünsche
Deutscher Taschenbuch Verlag, München
500 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-4232-4789-4

Steve Toltz: Vatermord und andere Familienvergnügen
Deutsche Verlags-Anstalt, München
784 Seiten, 22,95 Euro
ISBN 978-3-4210-4389-4

Paul Torday: Charlie Summers
Berlin Verlag, Berlin
288 Seiten, 22,00 Euro
ISBN 978-3-8270-0883-1

Juan Gabriel Vásquez: Die Informanten
Schöffling Verlag, Frankfurt
384 Seiten, 22,90 Euro
ISBN 978-3-8956-1005-9

Christa Wolf: Stadt der Engel
Suhrkamp Verlag, Berlin
380 Seiten, 24,90 Euro
ISBN 978-3-5184-2050-8

 
Diese Rezension bookmarken: