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Schmidt, nicht Müller - "Du stirbst nicht" gewinnt Deutschen Buchpreis 2009

Der Deutsche Buchpreis, der allljährlich am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse verliehen wird, geht in diesem Jahr an die Berlinerin Katrin Schmidt. Sie erhält die Auszeichnung für die beste literarische Neuerscheinung des Jahres. Mit ihrem Roman "Du stirbst nicht" setzte sich Schmidt im Finale gegen fünf andere Bücher durch, darunter auch der favorisierte Roman "Atemschaukel" der frischgekürten Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller. Hätte man für Herta Müller votiert, wäre dies womöglich untergegangen im Nobelpreisgetöse. So aber haben sich die Buchpreis-Juroren über alle Bedenken hinweggesetzt und anders entschieden.

Die siebenköpfige Jury hatte insgesamt 154 Titel gesichtet, die seit Oktober vergangenen Jahres erschienen sind. Alle deutschsprachigen Verlage konnten je zwei Romane aus ihrem aktuellen Programm einreichen. Mit ihrem vierten Roman, den die Jury als "individuelle Geschichte einer Wiederkehr vom Rande des Todes" beschreibt (Quelle: dpa), machte die 51-Jährige das Rennen.

In ihrem stark autobiografisch geprägten Werk erzählt Schmidt die Geschichte einer Frau, die nach einer Hirnblutung im Krankenhaus aus dem Koma erwacht. Ohne Kontrolle über ihren Körper, sprachlos, mit Erinnerungslücken erobert sie sich langsam ihren Weg zurück ins Leben. Ein geplatztes Aneurysma hat die bisherige Ordnung in ihrem Kopf durcheinander gebracht und teilweise sogar ausgelöscht. Silbe für Silbe, Satz für Satz sucht die Heldin Helene nach ihrem Gedächtnis. Mal lakonisch, mal höhnisch, mal unheimlich schildert der Roman die Innenwelt der gerade aus dem Koma erwachten Kranken und lässt daraus mit großer Sprachkraft die Geschichte ihrer Familie, ihrer Ehe und einer nicht vorhergesehenen Liebe herauswachsen. Dabei entsteht ein Entwicklungsroman ganz eigener Art, der durch seine innere Dynamik den Leser fesselt. Die Heldin selbst fasziniert durch ihre Art, sich der eigenen Vergangenheit und Gegenwart zu stellen. Bereits im Vorfeld rühmten Kritiker in den vergangenen Monaten die Präzision und Geduld, mit der die Autorin die Geschichte der Wiedergenesung und Wiedergewinnung der Sprache beschreibt.

Die 1958 im thüringischen Gotha geborene Katrin Schmidt hatte 2002 selbst eine Hirnblutung erlitten und war lange Zeit unfähig zu sprechen und am Leben teilzunehmen. Geprägt von ihrer eigenen Erfahrung schafft es die fünffache Mutter, die vor ihrer Schriftstellerkarriere unter anderem als Psychologin und Sozialwissenschaftlerin arbeitete, die Orientierungslosigkeit einer ehemaligen Komapatientin und ihrer Suche nach dem eigenen Ich in ihrem neuesten Roman so zu schildern, dass man als Leser in deren Körper und Geist steckt. "Du stirbst nicht", ist eine beeindruckende Reflexion einer Wiedergeburt, deren Sprache, fernab von allem Pathos wohl auch die Jury, die jedes Jahr neu von der Akademie Deutscher Buchpreis gewählt wird, überzeugt hat.

Bereits in der DDR publizierte Katrin Schmidt Gedichte und erhielt dafür den Anna-Seghers-Preis. Nach der Wende wurde sie 1993 mit dem Leonce-und-Lena-Preis und 1998 mit dem Heimito-von-Doderer-Preis ausgezeichnet. Der Deutsche Buchpreis, vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben, ist mit 25.000 Euro für den Sieger dotiert und hat sich in nur wenigen Jahren zur Auszeichnung mit der größten Publikumsresonanz in Deutschland entwickelt. Der Preis wird in diesem Jahr zum fünften Mal vergeben, aber eines leistet die Auszeichnung bisher jedes Jahr erneut: Sie zeigt, wie hoch der Standard der deutschsprachigen Literatur ist.

Katrin Schmidt: Du stirbst nicht
Köln: Kiepenheuer&Witsch Verlag 2009
350 S., € 19,95
ISBN 978-3-462-04098-2

Mareike Palmy
19.10.2009

 
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