Glossen & Berichte

Bekannte und neue Autoren geben literarischem Frühlingsstrauß Farbe

Hamburg (dpa) - Illustre Autoren geben sich mit Debütanten zu Jahresbeginn ein Stelldichein auf dem deutschen Buchmarkt. US-Star Philip Roth, Kultautor T. C. Boyle sowie die deutschsprachigen Bestsellerautoren Daniel Kehlmann, Wilhelm Genazino, Daniel Glattauer, Irene Dische und Sibylle Knauss warten mit neuen Romanen auf, während zugleich auch eine Vielzahl junger Talente auf ihre Entdeckung wartet. Als «appetizer» auf die kommende Frankfurter Buchmesse und das diesjährige Gastland China geben auch einige Schriftsteller aus Fernost dem literarischen Frühlingsstrauß exotische Farbtupfer.

Roth, der sich in seinen jüngsten Romanen vor allem mit dem Älterwerden befasst hat, kehrt im neuen Werk «Empörung» zu seinem zweiten großen Lebensthema - der Diskriminierung - zurück. Er schildert in gewohnt packender Manier von einem jüdischen Studenten, der in den 1950er Jahren wider Willen zum Rebellen wird und dafür mit dem Leben bezahlen muss.

«Die Frauen» haben es hingegen T. C. Boyle in seinem aktuellen Roman angetan, und mit ihm dem berühmten Architekten Frank Lloyd Wright (1867-1959), dessen Leben er mit Ironie und Anteilnahme nachzeichnet. Dabei hält er sich an sein Leitmotiv: «Komik ist meine Art, mit Tragik und Verzweiflung umzugehen.»

Nach seinem Bestseller «Die Vermessung der Welt» legt Starautor Daniel Kehlmann nach drei Jahren wieder einen vielversprechenden Roman vor. Sein neues Werk «Ruhm», besteht aus neun Episoden, die raffiniert ineinander verwoben, sich wieder zu einem vielschichtigen Ganzen verdichten. Es sind Geschichten über Menschen, denen ihr eigenes Leben fremd wird. Er beschreibt Verhältnisse, die auf komplizierte Art unübersichtlich werden.

Irene Dische, die Amerikanerin in Berlin, deren Familiengeschichte «Großmama packt aus» ein Bestseller wurde, begleitet in dem knappen Romanbändchen «Die Wahlfahrt» ihre Protagonistin Seraphine auf einer Reise ins Heimatland USA, wo die politisch Desinteressierte unfreiwillig in die Wahlkampfschlacht um das Präsidentenamt gerät.

Der Ausnahmeerzähler Wilhelm Genazino («Die Liebesblödigkeit») präsentiert in «Das Glück in glücksfernen Zeiten» mit dem promovierten Philosophen und Wäscheausfahrer Gerhard einen traurigen Helden, den der Kinderwunsch der Freundin und die zufällige Anwesenheit bei einer anarchistischen Demonstration aus der Bahn wirft.

Nach seinem fulminanten Erfolg mit «Gut gegen Nordwind» setzt Daniel Glattauer die E-mail-Lovestory von Emmi und Leo fort. In «Alle sieben Wellen» kehrt Leo, mittlerweile gebunden, aus Amerika zurück und findet Nachrichten von seiner immer noch verheirateten virtuellen Angebeteten Emmi vor. Ein reales Treffen wird immer unausweichlicher.

Einen besonders anspruchsvollen Stoff hat die Sprachvirtuosin Sibylle Knauss für ihren neuen, ebenso spannenden wie einprägsamen Roman «Eden» gewählt: Ausgehend von den weltberühmten prähistorischen Fußabdrücken von Laetoli in Tansania, lässt sie ihrer Fantasie vom Beginn der Menschheit freien Lauf und erzählt zugleich die Geschichte der turbulenten Ehe der Entdeckerin Mary Douglas Leaky (1913-1996) und ihres ebenso berühmten Mannes, des Paläoanthropologen Louis Leakey (1903-1972).

Michael Wallner - seit «April in Paris» ein Spezialist für historische Beziehungsdramen - lädt seine Leser in der «Russischen Affäre» in das Moskau der 1970er Jahre ein. Anna lebt unter beengten Verhältnissen mit ihrem Sohn und dem Vater, einem in Ungnade gefallenen Lyriker. Da Annas Mann weit weg versetzt wurde, ist ihre heimliche Affäre mit dem stellvertretenden Forschungsminister Alexeij die einzige Abwechslung.

Als eine erzkomische Abrechnung mit dem Vater hat Sibylle Lewitscharoff («Montgomery») ihr neues Buch «Apostoloff» angelegt.Zwei Schwestern begleiten ihren gestorbenen Vater auf seiner letzten Reise in die bulgarische Heimat, auf der sie dessen Leben mit beißendem Humor Revue passieren lassen.

Der 28-jährige Benjamin Lebert («Crazy») stellt in «Flug der Pelikane» die legendäre Flucht einiger Häftlinge von der Gefängnisinsel Alcatraz im Jahr 1962 in den Mittelpunkt. Der junge Hamburger Anton, der bei seinem New Yorker Onkel Jimmy davon hört, ist selbst auf der Flucht - vor seiner unglücklichen Vergangenheit.

Billy Wilder-Komödien haben wohl für Jakob Arjounis Roman «Der heilige Eddy» als Vorbild gedient, denn in der Geschichte von einem sympathischen Berliner Trickbetrüger geht es ähnlich rasant, witzig und charmant zu wie in den legendären Filmen des Regisseurs.

Der langjährige Verleger Reinhold Neven Du Mont hat nun selbst zur Feder gegriffen und mit «Die Villa» seinen ersten eigenen Roman vorgelegt. Stilistisch elegant berichtet er von den Auf und Abs einer bürgerlichen deutschen Familie zwischen den 1920er und 1950er Jahren.

Im Rückblick erzählt auch Mirko Bonné in «Wie wir verschwinden» von zwei Jugendfreunden, die erstmals vor einem halben Jahrhundert angesichts des Todes ihres Idols, des Existenzialisten Albert Camus, mit der Vergänglichkeit konfrontiert worden waren.

Unter den Titeln chinesischer Autoren ragt der Roman «Ein freies Leben» heraus, in dem Ha Jin mit minuziöser Genauigkeit und - so die US-Kritik - jener «einfachen Bestimmtheit, von der die meisten Autoren nur träumen können», den Alltag eines aus Fernost stammenden Mannes in der amerikanischen Ostküsten-Gesellschaft beschreibt.

Nach ihrem fulminanten Familiendrama «Wir müssen über Kevin reden» sind die Erwartungen an Lionel Shrivers neues Buch «Liebespaarungen» hochgesteckt. Raffiniert entwirft die US-Autorin Szenarien von alternativen Lebenswegen einer Frau zwischen zwei Männern.

Der bekannte isländische Erzähler Jón Kalman Stefánsson streift in «Himmel und Hölle» einen kleinen Ausschnitt im Leben eines namenlosen Fischerjungen und reflektiert damit dennoch die großen Fragen der menschlichen Existenz.

Nach seinem Bestseller «Die Musik der Wale» legt Wally Lamb nun mit «Die Stunde, in der ich zu glauben begann» eine opulente menschliche Tragödie mit reichlich Gefühl vor: Die als Zeugin eines Amoklauflaufs traumatisierte Maureen entgleitet der Realität immer mehr, während ihr Mann Caelum machtlos zusehen muss. Als seine medikamentenbetäubte Frau den Tod eines Jungen zu verantworten hat, landet sie in dem Gefängnis, das Caelums Großmutter hundert Jahre vorher begründet hat.

Eher lakonisch mutet dagegen das Debüt der Pariserin Delphine de Vigan an, das tief in die gesellschaftlichen Abgründe der Großstadtführt: Denn «No & ich» handelt von der Freundschaft einer 13-jährigen einsamen Hochbegabten und einer 18-jährigen Obdachlosen.

Glyn Maxwells literarische Reality-Show «Das Mädchen, das sterben sollte» versetzt mitten in einen Medienhurrikan, in dem sich die junge Protagonistin gegen ein angeblich vorbestimmtes Schicksal wehrt. Zentrales Thema dieses packenden Romans: der Medienwahnsinn und wie man ihn überlebt.

Mit «Solange du lebst» hat Louise Erdrich nach Meinung ihres berühmten Kollegen Philip Roth ihr Meisterstück abgegeben. In kraftvollen Bildern erzählt die Tochter einer Indianerin und eines Deutschamerikaners von einer Stadt am Rande eines Reservats und ihrer unbewältigten Vergangenheit, in der sich Ureinwohner und weiße Siedler in mörderische Bluttaten verstrickt hatten.

Mit dem Pulitzer-Preis 2008 wurde Junot Diaz Buch «Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao» ausgezeichnet. Der überaus lebendig geschriebene Roman berichtet von einer Latinofamilie, die zwar in den USA angekommen ist, den Fluch der Karibik aber noch nicht hinter sich gelassen hat.

Jakob Arjouni: Der heilige Eddy
Diogenes Verlag, Zürich
246 S., Euro 18,90
ISBN: 978-3-2578-6181-5

Mirko Bonné: Wie wir verschwinden
Schöffling Verlag Frankfurt
337 S., Euro 19,90
ISBN: 978-3-8956-1403-3

T. C. Boyle: Die Frauen
Hanser Verlag, München
560 S., Euro 24,90
ISBN: 978-3-4462-3269-3

Junot Diaz: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao Fischer Verlag, Frankfurt
384 S., Euro 19,95
ISBN: 978-3-1001-3920-7

Irene Dische: Die Wahlfahrt
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg
128 S., Euro 12,95
ISBN: 978-3-4554-0133-2

Louise Erdrich: Solange du lebst
Insel Verlag, Frankfurt
394 S., Euro 22,80
ISBN: 978-3-4581-7426-4

Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten Hanser Verlag, München
158 S., Euro 17,90
ISBN: 978-3-4462-3265-5

Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen
Deuticke Verlag, Wien
222 S., Euro 17,90
ISBN: 978-3-5520-6093-7

Ha Jin: Ein freies Leben
Ullstein Verlag, Berlin
638 S., Euro 24,90
ISBN: 978-3-5500-8723-3

Daniel Kehlmann: Ruhm
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
208 S., Euro 18,90
ISBN: 978-3-498-03543-3

Sibylle Knauss: Eden
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg
384 S., Euro 19,95
ISBN: 978-3-4554-0144-8

Benjamin Lebert: Flug der Pelikane
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
186 S., Euro 14,95
ISBN: 978-3-4620-4095-1

Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff
Suhrkamp Verlag, Frankfurt
248 S., Euro 19,80
ISBN: 978-3-5184-2061-4

Glyn Maxwell: Das Mädchen, das sterben sollte Kunstmann Verlag, München
456 S., Euro  19,90
ISBN: 978-3-8889-7551-6

Reinhold Neven Du Mont: Die Villa
Beck Verlag, München
318 S., Euro 18,90
ISBN: 978-3-4065-8242-4

Lionel Shriver: Liebespaarungen
Piper Verlag, München
579 S., Euro 19,95
ISBN-13: 978-3-4920-5096-8

Jón Kalman Stefánsson: Himmel und Hölle
Reclam Verlag, Ditzingen
231 S., Euro 18,90
ISBN: 978-3-1502-0879-3

Michael Wallner: Die russische Affäre
Luchterhand Verlag, München
400 S., Euro 19,95
ISBN: 978-3-6308-7285-8

Wally Lamb: Die Stunde, in der ich zu glauben begann Pendo Verlag, München/Zürich
745 S., Euro 22,95
ISBN: 978-3-8661-2206-2

Philip Roth: Empörung
Hanser Verlag, München
208 S., Euro 17,90
ISBN: 978-3-4462-3278-5

Delphine de Vigan: No & ich
Droemer Verlag, München
250 S., Euro 16,95
ISBN: 978-3-4261-9831-5

 
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