Glossen & Berichte

Oya Baydar: Quelle der Gewalt ist Eroberungspolitik der Großmächte

Hamburg (dpa) - Der Roman «Verlorene Worte» der türkischen Schriftstellerin Oya Baydar ist im August in deutscher Übersetzung im Claassen-Verlag erschienen. Die Türkei ist in diesem Jahr auch Gast der Frankfurter Buchmesse. Oya Baydar musste wegen ihres Engagements für die politische Linke ihre Heimat verlassen und konnte erst 1992 zurückkehren. Sie hat viele Jahre in Deutschland gelebt. Heute arbeitet sie aber wieder in der Türkei. Für die Deutsche Presse- Agentur dpa beantwortete sie drei Fragen:

Gibt es konkrete Einschränkungen für intellektuelle Frauen in der Türkei?

«Wenn Sie diese Frage allgemein stellen, würde ich "ja, klar" sagen. Nach dem Gesetz sind Frauen und Männer vollständig gleichberechtigt. In den unterentwickelten, ländlichen, ärmeren Gebieten und Schichten, wo die religiösen und traditionellen Einflüsse stark sind, kann man nicht sagen, dass diese Gesetze durchgesetzt werden. Dort gelten die traditionellen und religiösen Regeln, und die Frauen bleiben dem Druck der konservativen Gesellschaft ausgesetzt. Dagegen steht aber, dass die konkreten Einschränkungen für intellektuelle Frauen nicht größer sind als im Westen, zum Beispiel in Deutschland. Zumindest habe ich keinerlei solche Einschränkungen erlebt.»

Sie klammern Religion in dem Roman fast vollständig aus. Würde das heißen, dass die Religion eine friedliche Lösung, wie sie Ihnen vorschwebt, verhindern würde?

«Wenn ich über die heutige Türkei einen soziologischen Artikel schreiben würde, würde ich lang und ausführlich das Thema Religion behandeln. Dieses Thema ist für das Verständnis der Türkei sehr wichtig und wird, mit westlichen Augen betrachtet, allzu oft zu oberflächlich, manchmal sogar falsch ausgelegt. Aber das Hauptthema des Romans "Verlorene Worte" ist Gewalt. Deutlich gesagt habe ich nicht verstanden, warum ich hier das Thema Religion überhaupt erwähnen sollte. Ich denke, wenn der Autor dieses Romans nicht aus der Türkei käme, wenn er zum Beispiel Franzose wäre, hätten Sie diese Frage nicht gestellt.

Ich glaube, dass die intensive politische Diskussion über Laizismus und Islamismus in der Türkei zu so einer Frage geführt hat. Meiner Meinung nach kann nur ein Roman, der es schafft, aus Lokalem zu Universellem aufzusteigen, gut werden und literarische Erfolg haben. Terror und Gewalt sind aus meiner Sicht im Moment universelle Themen. Religion ist kein Hindernis für friedliche Lösungen. Und sie ist auch kein Grund für den Terror und die Gewalt, die wir in der Welt und der Türkei erleben. Die Quelle des Terrors, müssen wir in der Welteroberungspolitik der großen Mächte suchen.»

Sie schreiben nur über Kämpfe gegen Kurden in der Türkei. Verengt das nicht das Problem - oder sehen Sie die Kurden in diesem Fall eher als ein Symbol als eine Volksgruppe?

«Ich habe im Roman "Verlorene Worte" nicht nur über den Krieg gegen die Kurden geschrieben. Ich habe die Gewalt allgemein bearbeitet. Habe versucht zu erzählen, wie Gewalt den Menschen prägt. Angefangen von den Tierversuchen in Laboratorien, bis hin zum Druck, den Eltern auf ihre Kinder ausüben. Dabei habe ich die stärkste und traurigste Form von Gewalt, den Krieg, anhand des im Südosten der Türkei geführten Kurdenkrieges behandelt. Weil der Hauptgrund für die in der Türkei gelebte Gewalt der Kurdenkonflikt ist. Das Gebiet, in dem die staatliche Gewalt am stärksten ausgeübt wird, ist der Osten und der Südosten. Die Kurden sind eine Volksgruppe, aber wenn das Thema Gewalt behandelt wird, kann man sie auch als Symbol sehen.»

Gespräch: Katrin Börner, dpa

Eine Rezension zu dem Roman «Verlorene Worte» finden Sie hier.

 
Diese Rezension bookmarken: