Glossen & Berichte

Kroatischer Autor Štiks: Geprägt von den «Jahren des Zerfalls»

Hamburg (dpa) - Der 30-j?hrige Autor Igor Stiks stellt bei der Leipziger Buchmesse (13.-16.3.) im Rahmen des Kroatien-Schwerpunktes seinen jetzt auf Deutsch erschienenen zweiten Roman ?Die Archive der Nacht? vor. Der Schriftsteller wurde in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) geboren und musste w?hrend des Jugoslawien-Krieges nach Zagreb (Kroatien) fliehen. ?Die Archive der Nacht? wurden 2006 mit dem Ksaver-Sandor-Gjalski-Preis ausgezeichnet, der wichtigsten literarischen Ehrung in Kroatien. In dem bei Claassen verlegten Buch spiegeln sich Nationalsozialismus und Holocaust, Kommunismus und der Balkan-Konflikt der 90er Jahren im Schicksal eines Mannes, der nach seinem wahren Vater sucht. Im Interview mit der Deutschen Presse- Agentur dpa beschreibt ?tiks den Schreibvorgang auch als Bannen b?ser Geister: ?Ein paar D?monen konnte ich ruhigstellen. Andere sind immer noch aktiv.?

Wie hat die Erfahrung von Flucht und Entwurzelung durch den Jugoslawien-Krieg Ihr Schreiben beeinflusst?

?tiks: ?Es liegt auf der Hand, dass die Erfahrung der Flucht mich gepr?gt hat - sie hat sich auch auf die Themen ausgewirkt, mit denen ich mich besch?ftige. Bei der Auswirkung handelt es sich um eine ganz bestimmte Form von Sensibilit?t und nat?rlich auch um eine Suche im Schreiben, eine Suche nach Antworten auf sehr wichtige, sehr pers?nliche Fragen. In meinem ersten Roman "Das Schloss in der Romagna" erfahren wir sehr viel von den politischen Verwicklungen in der italienischen Renaissance, vom Bruch zwischen Tito und Stalin - sehr wenig jedoch vom Schicksal meiner Hauptfigur, einem jungen Bosnier, der gut und gerne ich selbst h?tte sein k?nnen. Ich wollte die historisch weit entfernten Geschichten f?r sich selbst sprechen lassen, gleichsam von allein sollten sie ?ber den Krieg in Ex- Jugoslawien zu reden beginnen. Ich glaube, ich hatte damals Angst davor, dieses Kapitel ?berhaupt zu er?ffnen. Und in "Die Archive der Nacht" habe ich einen Ausl?nder gebraucht, die Figur des ?sterreichischen Schriftstellers Richard Richter, um mit seinen Augen dem Schicksal meiner Geburtsstadt im Schreiben zu begegnen.?

Sie sind ein junger Autor und befassen sich sehr gekonnt mit gro?en, fast mythischen Themen ebenso wie mit Medienkritik und historischen Entwicklungen. Wie erkl?ren Sie sich selber diese Bef?higung?

?tiks: ?Es ist wichtig, ein wenig Talent mitzubringen, Bildung und das Lesen sind sehr wichtig; aber auch die Erfahrungen, die sicherlich nicht immer tragischer Natur sein m?ssen, die Reisen sollte ich auch nennen, das Ohr f?r Geschichten, ein N?heverh?ltnis zur Sprache - und wenn Sie all das zusammennehmen, ist es wie bei einem guten Essen notwendig, dass noch etwas dazukommt, jenes zauberische "je ne sais qoui" (ich wei? nicht was). Als ich meine Romane schrieb, habe ich mir nicht allzu viele Gedanken um das richtige Rezept des literarischen Erfolgs gemacht, ich wurde von dem dringlichen Bed?rfnis geleitet, diese Geschichte zu erz?hlen, die mich in Beschlag genommen hatte und das wollte ich auf die kraftvollste Art und Weise tun.?

War das Schreiben auch eine M?glichkeit, mit dem Kriegstrauma umzugehen?

?tiks: ?Es versteht sich von selbst, dass die Idee f?r "Die Archive der Nacht" nicht nur aus rein ?sthetischen Gr?nden in mir gewachsen ist. Dieser Roman ist mein ganz pers?nlicher Versuch, ?ber die Literatur - als eines der m?glichen Medien - eine direkte Konfrontation mit existenziellen Fragen und Themen anzustreben, die auf der intellektuellen, aber auch auf der emotionalen Ebene die Grundlagen unseres Lebens bilden. In diesem Sinne ist es etwas geworden, mit dem ich morgens aufgestanden bin und mit dem ich nachts wieder schlafen gehen musste, ob ich das wollte oder nicht. Ein Roman ist aber nur eine von vielen Formen, in die diese innere Recherche und der damit einhergehende Fieberwahn konstant m?nden k?nnen. Ein paar D?monen konnte ich ruhigstellen. Andere sind immer noch aktiv.Manche sind einfach nicht unterzukriegen. Vielleicht hilft da der n?chste Roman!?

Recherchieren Sie lange und erarbeiten sich Ihre Themen aufwendig?

?tiks: ?Ich habe sehr lange mit "Die Archive der Nacht" gelebt.Ungef?hr vier Jahre. Mir war von Beginn an klar, dass ich viel w?rde recherchieren m?ssen, wenn ich diesen Roman wirklich schreiben wollte. Da waren von Anfang an die schweren und gro?en Themen im Raum, der Zweite Weltkrieg, der Holocaust und das linke politische Engagement - bis hin zur Belagerung von Sarajevo. In der Literatur ist das alles bereits thematisiert worden, es handelte sich sogar um m?glicherweise bereits "verbrauchte" Sujets, die f?r mich, emotional gesehen, dennoch tiefste Fragen aufwarfen. Mir war bewusst, dass ich mich auf Glatteis begeben k?nnte und das die ganze Erz?hl-Architektur in sich zusammenbrechen w?rde, wenn nur eine tragende S?ule nicht manifest genug w?re. Ich musste die hier greifbaren Fakten sehr gut erden, meiner Fiktion und meinen Figuren eine echte Glaubw?rdigkeit verleihen.?

Sie sind zum Studieren nach Frankreich und in die USA gegangen. Wollen Sie in Ihre Heimat zur?ckkehren?

?tiks: ?Ich bin im Jahre 2001 von Zagreb nach Paris gegangen, dieses Mal war es aber eine Art "freiwilliges Exil", inspiriert von Autoren wie James Joyce und Danilo Ki? und vor allem war dieses Weggehen auch getragen von dem Wunsch, einen anderen Erfahrungsraum zu betreten, der es mir dann erm?glichen w?rde, der Welt ebenb?rtiger zu begegnen.Der Balkan, das dachte ich eben als 24-J?hriger, konnte mir das niemals geben. F?r viele westliche Intellektuelle ging der Weg zur intellektuellen und pers?nlichen Reife ?ber den Osten. Und f?r uns, die wir aus dem "anderen Europa" kommen, namentlich vom Balkan, f?r uns geht dieser Weg ?ber die westlichen Metropolen. Leider brauchen wir London und Paris, um uns zu emanzipieren. Die anderen hingegen werden noch von unseren exotischen, wilden und dynamischen Gegenden anger?hrt, die sich offenbar auf die westliche Fantasie auswirken - und f?r uns sind das Dinge, die wir besch?mt hinter uns lassen wollen. Die M?glichkeit einer R?ckkehr ist aber tats?chlich immer da.Aber diese R?ckkehr - das wissen ja alle Nomaden sehr gut - wird niemals eine R?ckkehr an den altbekannten Ort sein, sondern ein g?nzlich neuer Anfang werden.?

Viele empfinden die Haltung der j?ngeren Autoren in Ex-Jugoslawien als misstrauisch und gepr?gt von Vertrauensverlust - Sie auch?

?tiks: ?Die j?ngere Autorengeneration aus dem ehemaligen Jugoslawien hat das Pech gehabt, sowohl im intellektuellen als auch im privaten Leben von den Umst?nden jener Jahre des Zerfalls gepr?gt worden zu sein. Das waren Zeiten radikaler politischer, sozialer und ?konomischer Ver?nderungen und alles ereignete sich vor dem Hintergrund der kriegerischen Gewalt. Und wie wir es dieser Tage sehen k?nnen, ein Ende ist noch immer nicht in Sicht! In diesem Kontext hat der Schriftsteller nicht unbedingt die freie Wahl, ?ber irgendetwas Beliebiges zu schreiben. Im Gegenteil, er kann den Umst?nden f?rmlich gar nicht mehr entkommen - es ist ihm unm?glich, das zu ignorieren, was um ihn herum geschieht. Deshalb verwundert es auch nicht, dass sich die meisten Autoren mit dem Beschreiben und Analysieren ihrer konkreten Gesellschaft besch?ftigen. Eine andere M?glichkeit ist, sich der Geschichte zu stellen, diese zu erforschen und dabei die Erfahrung zu machen, dass wir uns zwar im gegenw?rtigen Europa alleine f?hlen, aber im Hinblick auf die Geschichte dies ?berhaupt nicht sind.?

Hat die Literatur in solchen Krisenzeiten eine besondere Bedeutung?

?tiks: ?Schriftsteller m?ssen da bald erkennen, dass ihr Einfluss, ?berhaupt der Einfluss von Literatur sehr begrenzt ist. Sie k?nnen resignieren oder die M?glichkeiten der Literatur annehmen: Mit der Literatur k?nnen wir die Wirklichkeit nicht nachhaltig ver?ndern, aber, so w?rde ich es sagen, dennoch verm?gen wir es nicht, ohne sie zu leben.?

Interview: Brita Janssen, dpa
10.03.2008

Eine Rezension von Igor ?tiks Buch "Die Archive der Nacht" finden Sie hier.

 
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