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Martin Walser: Beim Schreiben an Romy Schneider gedacht

Der Schriftsteller Martin Walser legt erstmals einen historischen Roman vor. «Ein liebender Mann» erzählt von der Liebe des alternden Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) zu der 19-jährigen Schülerin Ulrike von Levetzow. Der Autor betont jedoch, dass seine Leser keine Goethe-Kenner sein müssen. «Eine große Liebesgeschichte ist immer auch eine große Leidensgeschichte, und die teilt sich jedem mit, der einmal geliebt hat», sagte Walser in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa in Überlingen am Bodensee.

Ihr neuer Roman «Ein liebender Mann» ist der erste, der nicht in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit spielt. Haben Studienräte oder Finanzmakler als Ihre Titelhelden ausgedient?

Walser: «An Titelhelden ist kein Mangel. Aber wenn man ein Thema wählt, braucht man keine Gründe. Man weiß nachträglich nie genau, warum man etwas gemacht hat. Es ist die Attraktion eines Themas, einer Figur, einer Atmosphäre, gar einer Zeit. Die Attraktion ist so groß und so lebendig.»

Wie in Ihren vorangegangenen Romanen «Der Lebenslauf der Liebe», «Der Augenblick der Liebe» und der «Angstblüte» geht es um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen mit großem Altersunterschied, das Liebesleid eines alten Mannes, der eine junge Frau begehrt. Warum kehrt das Motiv immer wieder?

Walser: «Einige Kritikerinnen haben mir diese drei Romane übel genommen, sie haben nicht gerne akzeptiert, dass ich Liebesgeschichten mit einem solchen Altersunterschied erzähle. Jetzt habe ich die endgültige Konstellation gewählt, den größtmöglichen Altersunterschied von 55 Jahren: er, Goethe, 74, und sie Ulrike, 19. Ich bin fest davon überzeugt, dass es die Einwände, die gegen die drei Bücher erhoben wurden, dieses Mal gar nicht geben wird, weil ich dieses absolute Beispiel erzählt habe.»

Hat es Sie getroffen, dass Ihnen manche Rezensentin «Altmännerliteratur» vorgeworfen hat?

Walser: «Ich habe bei den Reaktionen auf meine vorhergehenden Romane bemerkt, dass auf solche Altersunterschiede schon von sich aus ein Verdacht fällt. Der Kulturbetrieb hat sich da zum Teil moralisch aufgeführt und sich vom Biologischen mit Ekel abgewendet. Nun ist meine voreilige Hoffnung, dass die Kritikerinnen nichts mehr dagegen haben können, weil diese Liebe zwischen Goethe und Ulrike zu schön war, so leidensintensiv. Dieser Roman ist bei mir ganz sicher das Schlusswort zu diesem Thema. Schöner als mit Goethe und Ulrike kann man die Fragwürdigkeit solcher Liebe nicht abschließen.»

In ein «Ein liebender Mann» verzichten Sie auf die Beschreibung sexueller Fantasien. Warum scheinen zarte Küsse zwischen Goethe und Ulrike das Höchste der Gefühle?

Walser: «Aus dem Küssen habe ich eine Sensation gemacht. Diese paar Male, die sie sich geküsst haben! Wenn sich nur die Münder küssen, dann reicht das nicht. Die Seelen müssen sich küssen, das ist es! Es hat mir noch nie soviel Schreibfreude bedeutet, wie dieses vorsichtige Küssen zu schildern.»

Kann eine Liebe so stark sein, dass sie den Altersunterschied völlig aufhebt?

Walser: «Natürlich nicht. Aber zwischen Goethe und Ulrike scheint dieser Altersunterschied in einigen Momenten aufgehoben, wenn beide in Marienbad promenieren und Konversation machen. Dann sind die beiden ein Paar vollkommener Gleichgestimmtheit und Einverstandenheit.»

Die Rahmenhandlung des Romans ist historisch belegt. 1823 wirbt Goethe in Marienbad um die junge Ulrike, er soll um ihre Hand angehalten haben. Der Dichterfürst wird aber abgewiesen und schreibt in seinem Schmerz die «Marienbader Elegie». Von Ulrike selbst jedoch ist fast nichts überliefert.

Walser: «Es gibt es nur ein paar lächerliche Daten über Ulrike. Als sie 90 Jahre alt war, da soll sie ein paar Sätzchen über Goethe gesagt haben, die dann überliefert worden sind. Wenn das die Ulrike von Levetzow gewesen wäre, die da überliefert ist, dann wäre Goethe nicht bei Trost, sich in eine solche Person zu verlieben. Die von der Literatur- und Kulturgeschichte überlieferte Ulrike von Levetzow kann nicht stimmen. Sie kann nicht der Anlass für dieses gewaltige Gedicht gewesen sein - die «Marienbader Elegie». Für mich ist es das Gipfel-Liebesgedicht der deutschen Sprache. Aber das Buch ist ein Roman, kein Geschichtsbuch.»

Ihre Ulrike-Figur ist kein Dummchen, sondern ein aufgewecktes junges Mädchen, das sich auch für Naturwissenschaft und Technik interessiert.

Walser: «Ich wollte, dass Ulrike und ihre Schwestern Kinder des 19. Jahrhunderts sind. Sie sprechen einmal über Maschinen, die man programmieren kann und die unabhängig vom Menschen funktionieren.Goethe merkt, dass er da nicht mehr so ganz mitkommt.»

Haben Sie beim Schreiben eine bestimmte junge Frau vor Augen gehabt?

Walser: «Ich habe am meisten an Romy Schneider gedacht. An die Romy Schneider der Frankreich-Zeit, an die Gesten, das Lachen, die Frechheiten, die Unverblümtheiten.»

Ulrike reist aus Marienbad ab - und Goethe fährt allein nach Weimar zurück. Dort muss er seine Gefühle verbergen und wieder den Dichterfürsten und Minister geben.

Walser: «Ja, Goethe fühlte sich ständig aufgefordert, eine Rolle zu spielen. Er hat immer vor einer Kulisse gelebt, vor einer zuschauenden, neugierigen Kulturkulisse in Weimar und ganz Deutschland. Er hat der Welt den Entsagenden vorgespielt. In Wirklichkeit aber hat er gelitten bis zum Schluss. In meinem Roman aber ernährt sich sein Gefühl, sein Temperament, seine Vitalität, seine Lust ganz von selbst. Er muss nichts zeigen. Mein Goethe ist so ausgefüllt von seiner Liebe zu Ulrike, dass er sich wahrhaft unabhängig fühlt.»

Ihm bleibt nur, seiner Angebeteten Briefe zu schreiben. Der Briefwechsel mit Ulrike ist verbürgt, der Inhalt der Briefe aber nicht überliefert. Warum füllen Sie diese Lücke?

Walser: «Ich lasse Goethe seitenlange Briefe an Ulrike schreiben - ohne jede Verlegenheit oder Befangenheit. Ich war mir dabei keiner Kühnheit bewusst. Unter meinen Schreiberlebnissen gibt es wenige, die so glücksbringend waren wie das Schreiben dieser Goethe-Briefe.»

Fürchten Sie nicht, dass diese Briefe in der ersten Person als Anmaßung empfunden werden können, dass sich der Autor Walser sozusagen auf die gleiche Stufe mit Goethe stellen möchte? Denn die übrigen Kapitel erzählen Sie in der dritten Person.

Walser: «Das ist vollkommener Quatsch. Es ist nicht mein Problem, mich auf irgendeine Stufe zu stellen. Ich habe einen Roman geschrieben, den kann jeder lesen und jeder kann sagen, ob er ihm gefällt oder nicht. Der Roman muss als Roman stimmen, und ich glaube, das tut er.»

Zum Schreiben von «Ein liebender Mann» haben Sie sich völlig zurückgezogen. Wie haben Sie die Abgeschiedenheit empfunden?

Walser: «Ich habe weder Fernsehen, noch Zeitung noch irgendeine Art von Außenwelt gebraucht. Ich habe nur die Musik von Franz Schubert gebraucht, obwohl Goethe Schubert nicht zu würdigen wusste. Ich habe Schubert zur Atmosphäre-Stiftung benutzt.»

Sie haben den Roman in nur acht Wochen geschrieben?

Walser: «Das Buch hat sich wie von selbst gemacht. Alles hängt bei mir vom Ton ab. Wenn der Ton für eine Figur gefunden ist, sich eingestellt hat, dann läuft das Erzählen wie von selbst. Bei Goethe hatte ich schnell den Ton, diesen leichten Ton und eine leichte Lesbarkeit.»

Sie sind für den Roman nach Marienbad und Karlsbad gereist und haben sich die historischen Schauplätze noch einmal angesehen.

Walser: «Ich bin auch als Erzähler ein gewissenhafter Pedant unddachte: Das muss ich gesehen haben. Darum bin ich hingefahren.
Vieles ist dann in den Roman eingeflossen. Darüber bin ich sehr froh.»

«Ein liebender Mann» spielt vor rund 200 Jahren. Kann auch der Leser große Freude an Ihrem Roman haben, der von Goethe wenig weiß?

Walser: «Eine große Liebesgeschichte ist immer auch eine große Leidensgeschichte, und die teilt sich jedem mit, der einmal geliebt hat. Ich hoffe sogar, dass die, die von Goethe nichts wissen, nach meinem Roman nicht nur viel über ihn wissen, sondern ihn so verehren und lieben, wie ich ihn verehrte und liebte, als ich dieses Buch schrieb, und ihn immer noch so verehre und liebe. Das macht er einem leicht.»

Sie gehen auch mit Ihrem neuen Roman wieder auf Lesereise.Das Hörbuch dazu haben Sie selbst eingelesen. Was gefällt Ihnen so am Vorlesen?

Walser: «Ich erlebe es, dass sich der Text erst voll verwirklicht, wenn ich ihn vorlese. Das hat damit zu tun, dass ich nicht nach den Augen, sondern nach dem Gehör schreibe. Ich schreibe nicht eine optische Vorstellung, die ich versuche, in Prosa zu bringen. Ich höre die Sätze und muss mitschreiben.

Interview: Gisela Mackensen, dpa
26.02.2008

Um zur Rezension von Martin Walsers neuem Buch "Ein liebender Mann" zu gelangen, klicken Sie bitte hier.

 
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