Glossen & Berichte

Prosit, Poesiealbum!

So populär ist der Poet Goethe dem Publikum selten präsentiert worden! Er besetzte die Jubiläums-Nummer 100 des "Poesiealbum". Das erschien als Doppelheft. Also nicht mit den üblichen 32 Seiten, einschließlich einer Graphik im Mittelteil. Nicht auf feinstem Papier gedruckt, das die Jahrzehnte unbeschadet hätte überstehen können, war das "Poesiealbum" ein Massenartikel für die Massen. Gegründet vom Bernd Jentzsch, erschien die Lyrik-Reihe im Ost-Berliner Verlag Neues Leben. Bevor die hundertste Ausgabe ausgeliefert war, war das Produkt bereits eine Marke. Marke bleibt Marke! Sie ist nicht zu liquidieren gewesen. Auch nicht durch die Austreibung von Bernd Jentzsch aus der DDR. Nicht durch das Einstellen der Editionsreihe nach der Tilgung der DDR. Das Produkt lebt! Es sieht nicht nur aus wie ein "Produkt von hier". Es ist ein Produkt von hier. Heute, 2007 sieht es aus wie vor vier Jahrzehnten. Das „Poesiealbum“ ist ein Produkt aus der DDR, wie das der "Trabant" war. Ein Produkt der Güteklasse Q. Übermütig - und auch zu Recht - wurden manche Produkte Made in GDR entsprechend etikettiert. Die Herzen der Lyrik-Liebhaber werden warm, wenn sie an das „Poesiealbum“ denken, das der Postbote Monat für Monat in den Briefkasten steckte. Hatte der Verlag doch empfohlen: „Am besten ist ein Abonnement bei der Deutschen Post“. Ansonsten war das „POESIEALBUM an Zeitungskiosken und in jeder Buchhandlung“ zu bekommen. Paradiesische Zustände! Zumindest für das "Poesiealbum".

Nicht verrückt werden vor Freude! Nicht glauben, einer Sinnestäuschung zu unterliegen. Die Augen sehen richtig und gut. Die Ausgabe 277 ist da. Das "Poesiealbum" ist wieder da. Und auch der Gründer Bernd Jentzsch, der einst in seiner Wilhelmshagener Wohnung die Hefte konzipierte. Jentzsch, der Wieder-Herausgeber, ist ein Versprechen. Jentzsch ist die Gewähr, daß es dem in Wilhelmshorst ansäßigen Märkischen Verlag gelingt, vier Hefte pro Jahr zu publizieren. "Vierteljährlich", wie der Verleger Klaus-Peter Anders verkündet. Und, wie dazumal, zu abonnieren. Zu bestellen beim Verlag, werden die Hefte - plus Porto – ins Haus geschickt. Soweit einige Fakten, die den Eindruck entstehen lassen könnten (sollen), das nun weiter wächst, was für´s Wachsen bestimmt ist. Das hoffte bereits ein Leipziger Verleger. Der heuerte einen prominenten Stasi-Schnüffler aus den Dichterkreisen an, um die in der deutschen Verlagsgeschichte einzigartige Lyrik-Reihe schnurstracks fortzusetzen. Damals in den frühen Neunzigern. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Nie waren Zeiten beste Zeiten für Lyrik! Nicht mal in denen der DDR-Lyrikwelle. Die war bereits abgeebbt, als Bernd Jentzsch mit dem schmalen Album für Poesie auftauchte. 1967.

Nun wieder der Versuch einer Wiederbelebung. Haben sich die Zeiten wieder verändert? Aber ja! Wie immer! Zum Vorteil für Verse? Eher nicht. Aber zum Vorteil ihrer Verbreitung. Und zwar im Internet. Gehört da das alte/neue "Poesiealbum" hin? Möglicherweise. Auch. Zuerst aber wollen die treuen Traditionalisten das Heft in der Hand halten. Mit diesem auffälligen Format von 12,5 x 21,5 Zentimeter. Mit der Graphik auf dem Umschlag und im Mittelteil. Das will man gedruckt sehen. Die Art der Ausführung bestimmt die Qualität des „Poesiealbums“ mit. Die fundamentalistischen Freunde dulden da keine Abstriche. Hinzunehmen haben sie nun jedoch, daß es keine monatliche Ausgabe geben wird, daß die Hefte nicht für den DDR-Brötchen-Preis, sprich den EVP (Einheitsverkaufspreis) von 90 Pfennig zu haben sind. Statt der „Aluchips“ müssen glatte 4,- Euro berappt werden. Gemessen an Ramschpreisen für Lyrik-Editionen nicht wenig. Gemessen am Benzinpreis durchaus nicht üppig.

Daß mit der Ausgabe 277 der ausgewiesene Wilhelmshagener dem ausgereisten Wilhelmshorster Peter Huchel huldigt, hat auch mit der Suche nach der vergangenen Zeit zu tun. Als der Lektor Bernd Jentzsch es wagte, "seinem" Ost-Berliner Verlag vorzuschlagen, den Huchel in die Reihe zu holen, handelte er mit Zitronen, wie man seinerzeit sagte. Jetzt abermals das "Poesiealbum" herauszugeben, bedeutet für den Herausgeber einiges - Verhindertes - nachzuholen. Weil kein Manuskript der gedachten Huchel-Auswahl die politischen Pressalien überlebte, hat der Lyrik-Kenner und -Versteher Bernd Jentzsch, die Huchel Ausgabe nach dem Gedächtnis zusammengestellt. Die Auswahl hatte die Zustimmung des märkischen Meisterpoeten, wie in einem für den Herausgeber typischen, knappen Text zu lesen ist. Jentzsch tritt als Handreicher für Huchel auf. Das ist nicht nur nützlich. Das ist nötig. Am Tag nach dem Erhalt des Peter Huchel – Poesiealbums Schüler eines brandenburgischen Gymnasiums nach dem Dichter gefragt, war Schweigen. Nichts als Schweigen. Der Auftrag, dem sich Bernd Jentzsch vor vierzig Jahren stellte, bleibt der Auftrag: Lyrik unter die Leute bringen! Prosit, "Poesiealbum"!

Bernd Heimberger
11.02.2008

Weitere Informationen zum "Poesiealbum" unter:
http://www.poesiealbum.info/pa/?

 
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