Glossen & Berichte

Neue Sachbücher im Frühjahr: Die 68er stehen im Zentrum

Nach Klimawandel und Terrorismus bilden in diesem Jahr unbestritten die 68er Jahre den Themenschwerpunkt der Sachbuch- Neuerscheinungen. Ganz ohne Werke rund um die islamistische Bedrohung und die Erderwärmung kommen die Verlage allerdings auch in diesem Frühjahr nicht aus.

Vierzig Jahre nach dem folgenreichen Jahr ziehen der Hamburger Politologe Wolfgang Kraushaar («Achtundsechzig») und der Berliner Historiker Götz Aly («Unser Kampf 1968») eine brisante Bilanz: Beide zeigen unabhängig voneinander auf, dass die 68er-Bewegung eine große Affinität zu Gewalt hatte und viele ihrer Leitfiguren antisemitische und nationalistische Tendenzen aufwiesen.

Sehr persönlich setzt sich der Schriftsteller Peter Schneider, selbst einer der Wortführer des Protestes, in seinem Buch «Rebellion und Wahn» mit seiner damaligen Rolle auseinander: Er blättert in seinem Tagebuch aus der Zeit und tritt als heute 68-Jähriger mit dem damals 28-Jährigen in einen kontroversen Dialog.

Auch der Suhrkamp Verlag setzt im Frühjahr einen Schwerpunkt auf die 68er Jahre und legt 13 zentrale Texte aus diesem Jahr in neuer Ausstattung vor - von Ernst Blochs «Aufsätze zur Politik» bis zu Peter Handkes «Publikumsbeschimpfung». Stefan Wolle («Der Traum von der Revolte») wirft einen Blick auf die DDR des Jahres 1968. Und der wichtigste Bildchronist jener Zeit, Michael Ruetz, macht mit seinem Fotoband «1968 - Die unbequeme Zeit» das Jahr visuell lebendig.   Nach Jahren, in denen Autoren vehement vor dem Islam gewarnt haben, zeigt sich nun die Tendenz, diese Gefahr differenzierter zu bewerten oder gar herunterzuspielen. So setzen Youssef Courbage und Emmanuel Todd in ihrem Buch «Die unaufhaltsame Revolution» volles Vertrauen in die Kraft der westlichen Werte. Den beiden Demografen zufolge wird es deshalb keinen Kampf der Kulturen geben, weil die Moderne mehr und mehr in den arabischen Ländern Einzug erhält.

Zweischneidig sieht der französische Islamexperte Olivier Roy («Der falsche Krieg») die Lage: Zwar seien die verschiedenen islamischen Terrorgruppen keine geschlossene Einheit und insofern auch nicht so schlagkräftig, wie im Westen oft angenommen. Roy sieht aber in ihrer Zerstrittenheit eine nicht geringere Gefahr, der mit neuen Strategien begegnet werden muss.

Diese Aufforderung richtet sich auch an die Geheimdienste. Dem mächtigsten, dem US-amerikanischen, widmet der zweifache Pulitzer- Preisträger Tim Weiner («CIA») eine 850-seitige Studie. Weiner zeichnet die Geschichte des CIA vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute akribisch nach und belegt alle seine Ergebnisse mit teilweise bisher als geheim eingestuften Dokumenten.

Für ein verhängnisvolles Ablenkungsmanöver halten drei englische Wissenschaftler die aktuellen Terrorszenarien: Chris Abgott, Paul Rogers und John Sloboda zeigen in dem Band «Jenseits des Terrors», dass die eigentlichen Gefahren für die Welt in der weltweiten Militarisierung, dem Kampf um Ressourcen und dem Klimawandel liegen.

Letzteres Thema ist nach dem Hype an Veröffentlichungen im vergangenen Herbst in Zusammenhang mit der Weltklimakonferenz in Bali wieder etwas in den Hintergrund getreten. Nun scheinen Autoren das Feld zu bestimmen, die das Problem nicht so dramatisch sehen: So ist der dänische Politologe Bjørn Lomborg («Cool it») davon überzeugt, dass die Erderwärmung immerhin noch hinauszuzögern ist. Er plädiert deshalb recht nüchtern dafür, statt in den Klimaschutz beispielsweise vermehrt in die Bekämpfung von Epidemien zu investieren.

Anders reagiert Nadine Barth auf die möglichen Folgen des Klimawandels: Für ihren Band «Verschwindende Landschaften» hat sie zwanzig Fotokünstler - unter ihnen: Robert Adams und Hiroshi Sugimoto- gebeten, ihre Sicht auf die drohenden Veränderungen der Natur ins Bild zu setzen.

Neue Reiseführer machen da Lust, die Welt zu erkunden, so lange sie noch nicht allzu zerstört ist: Wolfgang Büscher («Asiatische Absencen»), der uns schon zu Fuß von Berlin nach Moskau geführt hat, wagt jetzt den Sprung nach Asien. Der Weltreisende Ilija Trojanow widmet sich in «Der entfesselte Globus» gleich dem ganzen Erdball; jede seiner Stationen beobachtet er neugierig und kritisch zugleich.

C. Abgott, P. Rogers, J. Sloboda:
Jenseits des Terrors
Edition Nautilus, Hamburg
96 Seiten, Euro 10,00
ISBN: 978-3-89401-571-8

Götz Aly:
Unser Kampf 1968
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main
256 Seiten, Euro 19,90
ISBN: 978-3-10-000421-5

Nadine Barth (Hg.):
Verschwindende Landschaften
DuMont Buchverlag, Köln
200 Seiten, Euro 49,90
ISBN: 978-3-8321-9060-6

Wolfgang Büscher:
Asiatische Absencen
Rowohlt Berlin, Berlin
160 Seiten, Euro 16,90
ISBN: 978-3-87134-616-3

Y. Courbage und E. Todd:
Die unaufhaltsame Revolution
Piper Verlag, München
208 Seiten, Euro 16,90
ISBN: 978-3-492-05131

Wolfgang Kraushaar:
Achtundsechzig
Propyläen Verlag, Berlin
300 Seiten, Euro 19,90
ISBN: 978-3-549-07334-6

Bjørn Lomborg:
Cool it
Deutsche-Verlags-Anstalt, München
272 Seiten, Euro 16,95
ISBN: 978-3-421-04353-5

Olivier Roy:
Der falsche Krieg
Siedler Verlag, München
220 Seiten, Euro 19,95
ISBN: 978-3-88680-884-7

Michael Ruetz:
1968 - Die unbequeme Zeit
Steidl Verlag, Göttingen
224 Seiten, Euro 40,00
ISBN: 978-3-86521-7

Peter Schneider:
Rebellion und Wahn
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
256 Seiten, Euro 18,95
ISBN: 978-3-462-03976

Ilija Trojanow:
Der entfesselte Globus
Carl Hanser Verlag, München
200 Seiten, Euro 17,90
ISBN: 978-3-446-23030-9

Tim Weiner:
CIA
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main
850 Seiten, Euro 22,90
ISBN: 978-3-10-091070-7

Stefan Wolle:
Der Traum von der Revolte
Chr. Links Verlag, Berlin
250 Seiten, Euro 19,90
ISBN: 978-3-86153-373

Thomas Oser, dpa
28.01.2008

 
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