Buch des Monats September 2015
Eine schrecklich skurrile Familie
Die Familie Svendsen befindet sich knietief in der Klemme. Waren sie vor kurzem noch in den Medien als dänische Vorzeigefamilie illustriert worden, haben sich alle vier auf unterschiedliche Art in Indien ins Abseits manövriert. Susan, einer Koryphäe der Experimentalphysik, drohen nach dem Mord an ihrem Liebhaber 25 Jahre indischer Knast. Ihr Noch-Ehemann Laban, im gewöhnlichen Leben feinsinniger Komponist, hat eine Maharadscha-Tochter entführt und die indische Mafia auf den Fersen. Harald, der Sohn der Svendsens, sitzt wegen Antiquitätenschmuggels im Gefängnis, während seine Zwillingsschwester Thit zusammen mit einem indischen Priester durchgebrannt ist. Doch da taucht wie Phönix aus der Asche ein Abgesandter aus Dänemark auf, der die gesamte Familie zurück in die Heimat bringt.
Die Rettung hat jedoch ihren Preis für die Svendsens: Gelingt es ihnen nicht, das letzte Sitzungsprotokoll einer Gruppe freier Geister - der sogenannten Zukunftskommission, die über die Jahre hinweg erstaunlich viele geschichtliche Ereignisse vorhersagen konnte - zu beschaffen, dann droht ihnen die Rücküberführung in die Klauen der indischen Justiz. Die Jagd nach dem Protokoll erweist sich allerdings als höchst brisant. Es kommen nicht nur fast alle Mitglieder dieser dänischen Denkfabrik nach und nach um, sondern auch den Svendsens wird vehement nach dem Leben getrachtet. Es verbleibt schließlich bei allen Jägern und Gejagten die Frage, zu welchen Erkenntnissen dieser dänische Think Tank in seiner letzten Sitzung gelangt war?
Diese höchst abenteuerliche und groteske Geschichte mit einer skurrilen Familie in der Hauptrolle ist in "Der Susan-Effekt" verarbeitet worden. Der Autor ist beileibe kein Unbekannter und es überrascht auch nicht, dass hier mit Peter Høeg derjenige verantwortlich zeichnet, der bereits in "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" eine starke weibliche Wissenschaftlerin in einem intellektuellen Kriminalroman auf die Jagd geschickt hat. Nach diesem Erfolg war es um den dänischen Autor recht ruhig geworden. Mit nur wenigen Romanen versuchte er in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach diesem großen Erfolg nachzulegen. In "Der Susan-Effekt" verwendet er so einige Elemente aus besagtem Buch wieder, die die Hoffnung schüren, dass ihm ein zweiter richtig großer Bestseller gelungen sein könnte.
Der titelspendende Effekt ist die Gabe der Protagonistin Susan, dank ihrer Persönlichkeit andere Menschen im Gespräch dazu zu bewegen, tiefste Intimitäten aus der Privatsphäre preiszugeben. Korrekterweise müsste es jedoch der "Svendsen-Effekt" heißen, da mehr oder weniger alle Familienmitglieder mit dieser Fähigkeit ausgestattet sind. Wer nach diesen Schilderungen den Kopf schüttelt ob der Ballung von Skurrilitäten und Kuriositäten, dem muss Recht gegeben werden. Høeg sprudelt in seinem neuesten Werk völlig über und konstruiert eine Geschichte von Unmöglichkeiten, die einander immer noch zu übertrumpfen wissen. Dennoch ist "Der Susan-Effekt" eine hochgradig fordernde Geschichte, die neben den ganzen Action-Szenen viele sehr feine Passagen kennt, in denen Høeg Lebensweisheiten und intelligente Bezüge zu wissenschaftlichen Themen verarbeitet hat.
Wer nun überlegt, ob er besser zum Buch oder zum Hörbuch greifen solle, dem sei für "Der Susan-Effekt" auf jeden Fall die gedruckte Variante empfohlen. Zwar hat der für die gesprochene Version verantwortliche Hörverlag eine vollständige Lesung umgesetzt, jedoch handelt es sich bei dem vorliegenden Werk um eines jener Bücher, in dem man des Öfteren innehalten respektive auch mal ein paar Seiten zurückspringen möchte. Dies ist bekanntlich bei Hörbüchern theoretisch möglich, praktisch jedoch stets recht aufwendig. Darüber hinaus hilft einem die Sprecherin Sandra Schwittau, übrigens im realen Leben die Stimme von Bart Simpson, nur wenig dabei, die verschiedenen Charaktere auseinanderzuhalten. Die neun CDs, die sich über fast einen halben Tag erstrecken, bedeuten eine enorme Anstrengung für den Hörer, da es Høeg scheinbar eine Freude macht, die für den Fortgang der Handlung wegweisenden Übergänge maximal in einem Halbsatz abzuhandeln, während er andere Begebenheiten oder Empfindungen episch ausbreitet. Jedoch wird der Hörer diesem Werk garantiert nochmal eine zweite Chance erteilen, dann allerdings dem gedruckten Exemplar.
Christoph Mahnel
17.08.2015