Buch des Monats - M?rz 2008

Goethe und die junge Ulrike: Walsers dritter Roman zur Altersliebe

Nach den beiden von der Kritik nicht durchweg freundlich aufgenommenen Romanen «Der Augenblick der Liebe» und «Die Angstblüte» hat Martin Walser für sein drittes Werk zum Thema Altersliebe einen klassischen Kronzeugen gefunden. In dem neuen Roman «Ein liebender Mann» schildert der Autor, wie sich Johann Wolfgang von Goethe im Alter von fast 74 Jahren verliebt. «Das fand statt am Kreuzbrunnen, nachmittags um fünf, am 11. Juli 1823 in Marienbad», schreibt Walser wie ein Chronist. Gegenstand der heftigen Leidenschaft ist die 19-jährige Ulrike von Levetzow, älteste von drei Töchtern einer lebenslustigen Witwe der besten Gesellschaft. «Bis er sie sah, hatte sie ihn schon gesehen», heißt es bei dem Dichter vom Bodensee, der am 24. März 81 Jahre alt wird.

Es trifft Goethe wie ein Blitz, als er am Kreuzbrunnen plötzlich erkennt, dass das junge Mädchen, für das er schon lange eine Schwäche hatte, zur erwachsenen Frau geworden ist. «Ihn durchschoss eine Bewegung, eine Welle, ein Andrang von innen, im Kopf war es Hitze», schreibt Walser. Umwerfend, wie der Autor später temperamentvoll den eifersüchtigen Goethe beschreibt. In stummen nächtlichen Schimpftiraden plagen ihn immer wieder Zweifel, malt er sich aus, wie seine geliebte Ulrike in den Armen eines vermeintlichen Nebenbuhlers liegt, wütet gegen den jüngeren Mann, das Geschick, das ihn an die Levetzows bindet, träumt von Selbstmord und weiß doch, wie viel Hohn es auslösen würde, wenn er im hohen Alter noch das Sterben seines «Werther» aus seinem auch 1823 noch hoch berühmten Jugendwerk imitieren wollte.

Der alte Herr Geheimrat, seit Jahren verwitwet, verwirft schließlich die Angst, sich zum Narren zu machen, und bittet seinen Landesherrn, für ihn um die Hand des taufrischen Mädchens anzuhalten.

Doch Ulrike entzieht sich ­ möglicherweise unter dem Einfluss ihrer Mutter ­ dem Dichtergenie. Kurz vor ihrem Tod, am Beginn eines neuen Jahrhunderts, lässt sie Briefe verbrennen, die wahrscheinlich die seinen waren. In die Literaturgeschichte geht die Affäre durch die «Marienbader Elegie» ein, ein melancholisches Gedicht voll altersverklärter Leidenschaft. «Wenn Liebe je den Liebenden begeistet, Ward es an mir aufs lieblichste geleistet», schwärmt der alte Goethe dort.

In Kritiken zu den vorangegangenen Romanen «Der Augenblick der Liebe» und «Die Angstblüte» waren Walser «schwitzende, sabbernde Altmännerfantasien», ein «penetrant selbstmitleidiger Ton» oder «schmierige Sexphantasien» vorgeworfen worden. Diesmal trifft die tiefe Altersverliebtheit nicht irgendjemand, sondern einen, der zu Deutschlands Besten gezählt wird. Aber wenn es auch bei dieser keuschen Liebe zwischen Ulrike und Goethe mit wenigen innigen Küssen sein Bewenden hat, so ist doch klar, dass es sich für den alten Mann nicht nur um eine flüchtige Tändelei handelt. Zwar ist er nicht frei von Eitelkeit, aber er erlebt doch eine wirkliche Leidenschaft, die ihn bei allem Posieren bis ins Innerste erschüttert.

Goethe erscheint in Walsers Interpretation auch als «neuer Mann», der sein Gefühl zeigt, auf Frauen eingeht und zur Hingabe fähig ist.Mit einigen Kunstgriffen wird das frühe 19. Jahrhundert an das 21.herangezogen. Die Frauen sind mutig, leben in freier Liebe und widersprechen in der Unterhaltung oder interessieren sich mehr für Technik als für Poesie. Schon Thomas Mann soll mit dem Stoff geliebäugelt haben, dann aber doch lieber die Finger vom Dichterfürsten gelassen und einen Herrn Aschenbach erfunden haben, der sich im morbiden Venedig von einem jungen Mann angezogen fühlt.

Katrin Börner, dpa
26.02.2008

Ein Interview von Gisela Mackensen, dpa, mit Martin Walser zu seinem neuen Buch "Ein liebender Mann" finden Sie hier

 
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Das Buch:

Martin Walser: Ein liebender Mann

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 2008
288 S., € 19,90
ISBN: 978-3 -498-07363-3

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