Wissenschaften

Wo und wer bin ich?

Ob in Stein oder Holz geritzt, auf mit Tinte auf Papyrus geschrieben, als Mosaik gelegt oder auf dem Bildschirm des Computers erscheinend - seit mehr als 3500 Jahren sind Landkarten ein wichtiges Werkzeug des Menschen, um sich selbst zu definieren und in seine Umgebung einzuordnen. Die Frage nach dem "Wo bin ich?" und "Wer bin ich?" ist so essentiell, dass sie schon unsere Vorfahren in der Antike beschäftigt hat und auch in der absehbaren Zukunft nicht an Aktualität verlieren wird - im Gegenteil, denn jeder von uns nutzt fast täglich digitale Landkarten, um von A nach B zu kommen oder herauszufinden, wo sich das nächste Restaurant befindet. Landkarten als "grafische Darstellung, die Dinge, Ideen oder Gegebenheiten menschlichen Lebens räumlich abbildet" zu definieren, gibt uns laut Jerry Brotton, dem Autor des neuen opulenten Bandes "Weltkarten - Meisterwerke der Kartografie von der Antike bis heute", die Möglichkeit, die Darstellungsvielfalt von Landkarten zu erfassen und die Karten nicht unbedingt immer nur wissenschaftlich zu betrachten und zu analysieren.

Die vielfältigen Beweggründe, warum Karten angefertigt wurden, und die unterschiedlichen Techniken und Darstellungsmöglichkeiten zeigt Jerry Brotton in seiner Sammlung von 64 Landkarten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Angefangen bei Felsritzungen um 1500 v. Chr. über Seekarten bis hin zur digitalen Landkarte unsere Zeit, Google Earth. Auch thematische Karten zeigt Brotton, so z. B. eine Armutskarte von London aus dem Jahr 1898 oder eine Karte, die den Anteil Sklaven an der Südstaatenbevölkerung der USA im Jahr 1891 abbildet. Der schematische Plan der Londoner U-Bahn von Harry Beck, einem ehemaligen Signalarbeiter der London Underground, war 1933 revolutionär und wurde später als Vorlage für U-Bahn-Pläne in anderen Großstädten genommen. Eine Karte von Utopia, dem "Nichtland", und eine gestickte Weltkarte des Künstlers Alighiero Boetti runden die bunte Palette an Weltkarten, die Jerry Brotton für sein interessantes und optisch sehr ansprechendes Kartenwerk zusammengestellt hat, ab.

Dafür, dass man sich auch beim weniger zielgerichteten Stöbern in "Weltkarten" immer gut zurechtfindet und schnell den richtigen Überblick hat, sorgt die äußerst übersichtliche und schematische Aufmachung des Bandes. Die grobe Gliederung erfolgt chronologisch in fünf Kapiteln - von der Antike über das Mittelalter und die Zeit der Entdecker bis hin zur Gegenwart und dem digitalen Zeitalter. Die meisten der 64 vorgestellten Karten werden auf insgesamt vier Seiten präsentiert. Dabei wird immer der gleiche Aufbau zugrunde gelegt: Entstehungszeit, Art der Karte (Pergament, Feld, Stein, Holz usw.), Maße, heutiger Aufbewahrungsort/Besichtigungsort und Maßstab. Kurzbiografien zu den Kartografen und Infokästen zu den Entstehungsverfahren sowie Darstellungsweisen liefern interessante Hintergrundinformationen. Mit einzelnen vergrößerten Ausschnitten der jeweiligen Karte wird noch einmal auf Besonderheiten eingegangen und es Schwerpunkte werden gesetzt.

Jerry Brotton, Professor an der Queen Mary University of London und Experte auf dem Gebiet der Kartografie-Geschichte, hat mit "Weltkarten" einen sehr interessanten und übersichtlichen Band gestaltet, der auch von der Optik und Aufmachung her überzeugt und garantiert bei jedem Leser, der sich für die Geschichte der Kartografie, für Kultur- und Menschheitsgeschichte interessiert, für einige kurzweilige und informative Stunden sorgt.

Sabine Mahnel
05.10.2015

 
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Das Buch:

Jerry Brotton: Weltkarten - Meisterwerke der Kartografie von der Antike bis heute. Aus dem Englischen von Claudia Theis-Passaro und Annegret Hunke-Wormser

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München: Dorling Kindersley Verlag 2015
256 S., € 34,95
ISBN: 978-3-8310-2829-0

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