Hörbücher

Dem Kult verfallen

Evie ist vierzehn, als sie im Sommer 1969 zum ersten Mal den "Girls" begegnet. Sie sieht die langhaarigen Mädchen in einem Park tanzen, sie sind laut, unfrisiert, frei. Evie selbst ist gefangen in der Scheidungshölle ihrer Eltern und steht kurz vor der Abreise ins Internat. Ihre Mutter ist auf dem Selbstfindungstrip, ihr Vater wohnt mit seiner viel jüngeren Sekretärin zusammen und ihre beste Freundin wendet sich von ihr ab. In diesem Zustand von emotionaler Labilität, Unsicherheit und Verletzlichkeit haben die Girls rund um ihren Sektenführer Russell leichtes Spiel bei der Vierzehnjährigen.

Weit draußen auf einer heruntergekommenen Ranch leben die Girls in bester Hippie-Tradition zusammen mit ihrem Guru Russell und den vielen Kindern, die irgendwie zu allen und keinem zu gehören scheinen. Als Evie die Welt der Girls betritt, ist es vor allem die ein paar Jahre ältere Suzanne, die sie fasziniert. Ihr zuliebe lässt sich Evie von Russell befingern und macht erste sexuelle Erfahrungen mit einem viel älteren Musiker, der Russell einen Plattenvertrag versprochen hat. Als aus diesem Deal jedoch nichts wird, schmiedet Russell Rachepläne, die Evie fast in tödliche Gefahr gebracht hätten.

Die junge amerikanische Autorin Emma Cline, die "The Girls" im Alter von 25 Jahren geschrieben und dafür angeblich einen millionenschweren Vertrag ausgehandelt hat, stammt aus einem beschaulichen nordkalifornischen Ort namens Sonoma, hat ihren Master of Fine Arts und schrieb bisher für den New Yorker und Oprah Winfreys Magazin O. Der aktuelle Hype um ihren Debutroman macht natürlich neugierig. Was hat eine Mittzwanzigerin zu den Hippie-Bewegungen der 1960er Jahre zu sagen? Was weiß sie über die Verletzlichkeit einer vierzehnjährigen Mädchens? Sehr viel, zumindest, wenn es um die Gefühlslage eines enttäuschten, haltsuchenden Teenagers und die daraus resultierende Anfälligkeit für Sekten geht. Der Plot an sich ist nicht ganz neu. Dafür hat sich Cline bei den Begebenheiten rund um die Manson Family bedient.

Dass die 1989 Geborene schreiben kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Ihre poetische, atmosphärisch dichte Sprache zeugt von großer Belesenheit und sprachlichem Feingefühl. Wüsste man als Leser bzw. Hörer von "The Girls" nicht, dass die Verfasserin noch keine 30 ist, so würde man es aufgrund der Sprache und der zugrundeliegenden Lebensweisheit sicherlich nicht vermuten. Das Hörbuch liegt glücklicherweise in einer ungekürzten Fassung vor, die sich über rund elf Stunden und neun CDs erstreckt. Gelesen wird Clines Debut von Suzanne von Borsody, die der Geschichte mit ihrer dunklen, sanften Stimme das passende Flair verpasst.

Ob sich Cline in der literarischen Welt behaupten kann, werden ihre kommenden Werke zeigen – für die nächsten zwei hat sie angeblich schon unterschrieben.

Sabine Mahnel
29.08.2016

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Emma Cline: The Girls. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl

CMS_IMGTITLE[1]

Sprecher: Suzanne von Borsody
Hamburg: Hörbuch Hamburg 2016
9 CDs, 680 Min., € 21,99
ISBN: 978-3-95713-057-0

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.