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Plädoyer für einen bewussten Umgang mit der Zeit

Langsamkeit ist etwas Negatives, so der Konsens unserer Gesellschaft. Wer langsam ist, verliert, kommt zu sp?t, verpasst nicht nur Termine, sondern sein Leben. Wer langsam ist, gilt als Faulpelz, als M??igg?nger, der andere mehr arbeiten l?sst, w?hrend er selbst scheinbar ins Leere starrt oder lange bei einer Aufgabe verharrt. Allzu wenig macht sich eine Gesellschaft, in der Burn-out kein Fremdwort mehr ist, dar?ber Gedanken, was Langsamkeit bedeutet und wie viel Nutzen und wie viel mehr Lebensqualit?t sie bringen k?nnte.

Der in Bayern und Berlin lebende Schriftsteller Sten Nadolny ("Netzkarte") schrieb vor knapp 30 Jahren einen Roman ?ber einen langsamen Menschen, der sich nichts sehnlicher w?nschte, als Seefahrer zu werden. Wie sehr Nadolny mit der Lebensgeschichte des englischen Seefahrers und Polarforschers John Franklin (1786-1847) und seiner "Entdeckung der Langsamkeit" ein Thema aufgegriffen hat, das gerade in Zeiten von Reiz?berflutung und Informationsschwemme in den Neunziger und Nuller Jahren an Aktualit?t gewinnen k?nnte, ahnte er damals wahrscheinlich selbst noch nicht.

John Franklin ist langsam in allem, was er tut, sagt und denkt. Schon als Kind halten ihn alle f?r schwachsinnig, dabei nimmt er seine Umgebung einfach nur sehr genau wahr und braucht daf?r mehr Zeit als jemand, der nur zu einer oberfl?chlichen Wahrnehmung f?hig ist. Sein Lehrer Dr. Orme ist der Erste, der Johns F?higkeit, mit seiner verlangsamten Auffassungsgabe allen Dingen besonders tief auf den Grund gehen zu k?nnen, entdeckt und f?rdert. John gelingt es durch Ausdauer, Hartn?ckigkeit und Geduld, seinen Traum, zur See zu gehen, wahr werden zu lassen. Er lernt Redewendungen und Befehle auswendig, damit er im Notfall schneller reagieren kann. Er pr?gt sich nachts, wenn alle anderen schlafen, jede Planke und jeden Mast des Schiffes ein, damit er den anderen in nichts nachstehen muss. Und er lernt im Laufe seines Lebens vor allem eines: mit der Ungeduld und dem Unverst?ndnis seiner Mitmenschen umzugehen und sich selbst zu akzeptieren.

Nadolny hat zwar den englischen Nordpolfahrer John Franklin, der bei dem Versuch, die Nordwestpassage zu finden, ums Leben kam, als Vorlage f?r seinen Roman genommen, jedoch entspricht das Handicap bzw. die besondere F?higkeit, alles sehr langsam wahrzunehmen, nicht der realen Figur. Gerade diese Eigenheit aber bildet den Kern der Geschichte und macht sie zu einem au?ergew?hnlichen Pl?doyer f?r mehr Akzeptanz und einen bewussten Umgang mit der Zeit.

Die aktuelle Vertonung des mehrfach ausgezeichneten Romans ist p?nktlich zum 70. Geburtstag des Autors am 29. Juli 2012 erschienen. Nadolny selbst tr?gt dabei auf insgesamt elf CDs und damit in knapp 800 Minuten "Die Entdeckung der Langsamkeit" ungek?rzt vor. Die Autorenlesung verleiht dem Roman diesen besonderen Hauch von Authentizit?t: Nadolny spricht die Worte, die er geschrieben hat, so, wie es seine Intention war. Eine Interpretation, die ein anderer Sprecher zwangsl?ufig leisten m?sste, kann damit vermieden werden. Auch wenn das Sprechen von H?rb?chern nicht sein t?glich Brot ist, liefert Nadolny eine beachtliche und vor allem glaubw?rdige Leistung ab.

Geschichten, die so universelle Themen wie "Die Entdeckung der Langsamkeit" behandeln, geraten niemals aus der Mode und sollten es auch nicht. Die aktuelle Neuauflage als H?rbuch mag vielleicht den einen oder anderen zu einem bewussteren Umgang mit Zeit und dazu, seinem Leben einen langsameren Rhythmus zu geben, veranlassen. Denn in einer Gesellschaft wie der unseren ist die M?glichkeit, sich Zeit zu nehmen, Details zu erfassen, anstatt nur einen groben ?berblick zu gewinnen, leider zu einem nicht mehr erstrebenswerten Luxus geworden. Und gerade im Detail liegt die Wahrheit und Sch?nheit des Lebens.

Sabine Mahnel
13.08.2012

 
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Das Buch:

Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit

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Sprecher: Sten Nadolny
Hamburg: Osterwold audio 2012
Spielzeit: 773 Min. , € 24,99
ISBN: 978-3-86952-035-3

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