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Dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs

Seit nunmehr zwölf Jahren steht in Berlin die Mauer fest betoniert, trennt Freunde und Familien und ist unüberwindbares und meist auch tödliches Hindernis für viele verzweifelte Menschen im Osten Deutschlands. Man schreibt das Jahr 1973, es ist Sommer und für Ria Nachtmann bietet sich während des Bulgarien-Urlaubs endlich wieder einmal die Möglichkeit, ihren Geliebten zu sehen, der als Journalist im Westen lebt und arbeitet. Zeitgleich versucht im Harz Rias Schwager Henning, der dort als Grenzsoldat stationiert ist, einen Schlupfwinkel durch das antifaschistische Bollwerk zu finden. Doch der Versuch misslingt, und Henning findet sich in Bautzen wieder, wo viele Jahre Gefängnis auf ihn warten. Noch in Bulgarien wird daher Ria aufgegriffen und zum Verhör nach Ost-Berlin zurückgebracht. Spätestens hier wird ihr klar, dass ihre Entscheidung am Tag des Mauerbaus für die Familie und gegen den möglichen Schritt in den Westen ihr eigenes Leben auf Jahrzehnte maßgeblich beeinflusst hat.

Im Westen werden derweil erste Verdachtsmomente gegen Günter Guillaume, einen persönlichen Referenten Willy Brandts, offensichtlich. Im Zuge dessen nimmt der ehemalige BND-Mitarbeiter Stefan Hähner wieder Kontakt mit Ria auf, die ihre Agententätigkeit für den Westen für viele Jahre hatte ruhen lassen. Die Stasi intensiviert wiederum ihre Beschattung von Ria und schreckt nicht davor zurück, auch Rias Tochter Annie gegen ihre Mutter zu instrumentalisieren. Mit dem Ausbruchsversuch von Henning aus dem Bautzener Gefängnis und den Bemühungen Hähners, Ria in Sicherheit und in den Westen zu bringen, wird ein hochdramatisches Katz-und-Maus-Spiel in die Wege geleitet, an dessen Ende nichts mehr so sein kann, wie es einmal war.

Bei der Erwähnung von Ria Nachtmann ist eingefleischten Fans von zeitgeschichtlichen Thrillern sofort klar, dass Titus Müller wieder abgeliefert hat. Seine Spionin-Trilogie, die er im vergangenen Jahr mit "Die fremde Spionin" begonnen hatte, erfährt nun mit "Das zweite Geheimnis" eine Fortsetzung. Spielte der erste Teil noch anno 1961 zum Zeitpunkt des Mauerbaus, erfolgte nun ein Zeitsprung ins Jahr 1973. Während im Osten die Weltfestspiele der Jugend abgehalten werden, schrillen im Westen ob des Verdachts gegen die Guillaumes die Alarmglocken. In bewährter Manier integriert der Autor fiktive Charaktere in die geschichtliche Realität und lässt dort unter anderem Honecker, Brandt und Breschnew zu Wort kommen. Mit Schalck-Golodkowski als Rias Chef ist diese sogar ganz nah an einem zentralen Protagonisten der ehemaligen DDR dran.

Neben der Buchausgabe im Heyne Verlag ist Random House auch wieder in seinem Audio-Segment aktiv gewesen und hat mit dem Schauspieler Oliver Brod am Mikrofon eine leicht gekürzte Lesung auf zwei mp3-CD-Scheiben pressen lassen. Gut zehn Stunden nimmt diese den begeisterten Hörer in Beschlag, wenn sich Spione in Ost und West im Schattenboxen und Fintenlegen üben, bevor es schließlich zum finalen Showdown kommt. Neben dieser Lesung wurde auch noch eine vollständige und ungekürzte Variante produziert. Diese dauert knapp zwölf Stunden, ist allerdings ausschließlich als Download erhältlich. Bei den vielen Handlungssträngen, die minütlich an Spannung zulegen, kennt Oliver Brods gelungener Vortrag keine Phasen der Langeweile.

Mit den im vorliegenden Hörbuch eingetretenen Veränderungen biegt Titus Müllers Spionin-Trilogie um Ria Nachtmann bereits auf die Zielgerade ein. Auch sind schon Titel und Erscheinungsdatum des dritten Teils bekannt, laut Verlagsangaben soll "Der letzte Auftrag" im Mai 2023 erscheinen. Dann steht ein weiterer Zeitsprung ins Jahr 1989 bevor, wo Ria und ihre Tochter Annie im Mittelpunkt der Handlung stehen sollen. In der Schwemme vieler zeitgeschichtlicher Serien, Filme und Bücher, die sich in letzter Zeit dem vergangenen Jahrhundert und mit Vorliebe der Berliner Metropole widmeten, ist die Trilogie von Titus Müller definitiv ein absolutes Highlight. Mit Bau und Fall der Mauer sowie einem Zeitpunkt größter Spannungen im Kalten Krieg hat sich der Autor drei markante Phasen ausgesucht, um seine profunden Geschichtskenntnisse in eine hochspannende Geschichte einfließen zu lassen.

Christoph Mahnel
11.07.2022

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