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Als der Ball vor der Linie aufschlug

Es ist 1966, die Fußball-WM in England steht vor die Tür, die Beatles rocken durch die Charts und Thomas Engel hat den Schritt in die geteilte Stadt gewagt. Zusammen mit seiner Freundin Peggy hat er das im Vergleich zu Berlin beschauliche Düsseldorf verlassen, auch um dem Zwist mit seiner Familie weiteren räumlichen Abstand zu geben. Thomas' Polizeikarriere war am Rhein zwar verheißungsvoll gestartet, doch nach einigen Vorfällen erschien ihm ein Neuanfang in West-Berlin mehr als angemessen, zumal seine Freundin dort auch ihren beruflichen Ambitionen besser nachgehen kann. Kurz nach der Ankunft der beiden in Berlin beobachten sie in einem vertrauten Moment, wie ein Flüchtling aus dem Osten der Stadt bei dem Versuch, durch einen See in den Westen zu schwimmen, hinterrücks erschossen wird. Willkommen in Berlin, der Hauptstadt der Spione und Maulwürfe!

Seine Hoffnungen, eine Anstellung bei der Berliner Kriminalpolizei zu erhalten, erhalten zunächst einen Dämpfer. Thomas findet bis auf weiteres nur Verwendung bei der politischen Abteilung und wird für Observationen verdächtiger Personen eingesetzt. Gleich einer seiner ersten Einsätze gerät außer Kontrolle, bei einem Schusswechsel wird Thomas' Kollege tödlich verwundet. Auch die Observation eines studentischen Rädelsführers am Rande einer Demonstration endet mit einem Paukenschlag: Thomas muss diesen in Gewahrsam nehmen, nachdem er ihn bei einem amerikanischen Arzt, der mit einer Freiheitsstatue erschlagen wurde, scheinbar in flagranti ertappt hat. Doch ist dieser Vorfall erst der Beginn einer wilden Achterbahnfahrt durch die halbe Bundesrepublik, bei dem alle namhaften Geheimdienste mit im Spiel sind und mittendrin Thomas Engel, der sein Leben aufs Spiel setzen muss, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Thomas Engel ist der Protagonist der Reihe, die Thomas Christos alias Christos Yiannopoulos im vergangenen Jahr das Licht der Welt erblicken ließ. "1966. Ein neuer Fall für Thomas Engel" lautet der Titel des vorliegenden zweiten Romans aus dieser Reihe nach dem Debüt namens "1965. Ein Fall für Thomas Engel". Auch wenn die Titelgebung wenig inspiriert erscheint, weiß man doch sofort, wo man auf der Zeitachse verortet wird. Inmitten der Sechzigerjahre, der Zeit des Kalten Krieges bilden die Scharmützel zwischen Ost und West sowie die Nachwehen des gerade einmal zwanzig Jahre zurückliegenden Krieges die Hintergrundkulisse für die Fälle von Thomas Engel. Dass der Autor für gewöhnlich seine Brötchen als Drehbuchautor von Fernsehfilmen verdient, merkt man auch im zweiten Fall sehr deutlich. Rasanz ist Trumpf, Übergänge werden nicht langwierig vorbereitet, sondern wenn es sein muss, auch mal in einem Halbsatz abgehandelt.

Neben der Buchausgabe sind auch verschiedene Hörbuchvarianten produziert und zeitgleich herausgegeben worden. Basierend auf einer ungekürzten Lesung, die lediglich per Download zur Verfügung steht, hat Random House Audio eine leicht und zwar um knapp zwei Stunden gekürzte Lesung auf zwei mp3-CDs mit Oliver Wnuk am Mikrofon produziert. Dabei brilliert der Sprecher, der vielen aufgrund seiner Rolle als Ulf Steinke in der Comedy-Serie "Stromberg" ein Begriff sein dürfte, dank seiner Stimme, die bisweilen genau so frech und unerschrocken daherkommt wie Thomas Engel als Hauptdarsteller.

Der Autor mixt in "1966" wieder ganz viel Zeitgeschichte mit einem hochspannenden Fall. Dabei streift Christos viele Themen, die seinerzeit die Menschen bewegten: der als ungerecht empfundene Krieg in Vietnam, die damit verbundenen Schicksale amerikanischer Soldaten und unschuldiger Vietnamesen, dazu die beginnenden Studentenunruhen in Deutschland und der aus heutiger Sicht hochgradig kurios wirkende Status eines geteilten Deutschlands mit vier Mächten, die sich in Berlin tummelten. Das vorliegende Hörbuch ist ein Highspeed-Krimi, der auf der Überholspur durch eine Periode der jungen Bundesrepublik jagt, die aus einer gänzlich anderen Zeit gefallen zu sein scheint. Kennt man die Mechanismen des Buchmarkts darf man sich heute schon auf einen weiteren Fall mit Thomas Engel im kommenden Jahr freuen, der dann höchstwahrscheinlich den Titel "1967" tragen wird.

Christoph Mahnel
20.12.2021

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