Hörbücher

Mit viel Gefühl durch die dunkle Zeit

Zahlreiche Höhen und Tiefen kennzeichneten die dreißiger Jahre in Fallersleben, einer Kleinstadt im Wolfsburger Land. Die Familie des Unternehmers Herrmann Ising hatte gelernt, sich mit den Widrigkeiten, die sich für sie seit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ergeben hatten, zu arrangieren. Einer der Söhne war fortan nur noch mit ausgestrecktem Arm durch die Gegend gelaufen und war damit ungeachtet seiner Limitierung erfolgreich gewesen. Eine Tochter reüssierte im Schlepptau von Leni Riefenstahl, während der Rest der Familie schmerzhaft gelernt hatte, sich wegzuducken, um den Nazi-Schergen möglichst wenig Angriffspunkte zu liefern. Insbesondere der jüngste Sohn der Isings bedurfte ob seiner Behinderung eines besonderen Schutzes durch die Familie.

Der erste Teil von Peter Pranges Familien-Saga "Eine Familie in Deutschland" trug den Untertitel "Zeit zu hoffen, Zeit zu leben" und behandelte die Jahre von 1933 bis 1939, als der Sturm über Deutschland aufzog und Schatten über das ganze Land warf. Nach diesem großen Erfolg Pranges waren die Sehnsucht und die Erwartungshaltung bezüglich des zweiten und finalen Bandes groß. Glücklicherweise hatte sich der Autor nur wenig Zeit erbeten, bevor er nun gekonnt nachlegte: "Am Ende die Hoffnung" übertrifft als Buch mit über 800 Seiten vom Umfang her sogar den ersten Band. Wiederum dient eine Periode von sechs Jahren als prägende Hintergrundkulisse, dieses Mal sind es die Kriegsjahre von 1939 bis 1945. Wie zu erwarten, spitzen sich die angespannten Gegebenheiten der Familie Ising in diesen Schicksalsjahren noch weiter zu.

Nach ihrem befreienden Coming-Out vollzieht Edda, die zu Beginn noch im Schlepptau von Leni Riefenstahl mitläuft und damit maximal NS-konform und ungefährdet verweilt, einen Wandel, als sie in ihren Pariser Jahren mit dem französischen Widerstand anbandelt. Georg, der Auto-Freak, scheint es gut erwischt zu haben, da ihn sein Auftrag, eine Testfahrt nach Kabul durchzuführen, unabkömmlich macht. Doch währt die Freude darüber leider nicht ewig, denn irgendwann verschlägt es auch ihn an die Front und mit Stalingrad an einen der wohl denkbar schrecklichsten Orte. Das Sorgenkind der Familie bleibt weiterhin Willy, der Nachzügler und am Down-Syndrom leidende Junge will vor den Fängen der Nationalsozialisten bewahrt werden. Seinen Bruder Horst schert dies weiterhin nur wenig, vielmehr macht ihn die eigene Karriere in der Partei und im Kriegsapparat blind für jeden Funken Menschlichkeit. Charlotte, die Ärztin, leidet unter der erzwungenen Trennung von ihrer großen Liebe Benny, der als Jude in den Kriegswirren abgetaucht ist und chancenlos zu sein scheint.

Zeitgleich zur Buchveröffentlichung wurde im bewährten Setup mit Frank Arnold am Mikrofon ein Hörbuch zum zweiten Teil der Familien-Sage um die Isings produziert. Der herausgebende Argon-Verlag hat dabei gleich zwei Varianten abgeliefert, mit der ultimativen und vollständigen Lesung über 29 Stunden und 33 Minuten gibt es die volle Dröhnung, die allerdings nur über einen Hörbuch-Download verfügbar ist. Mit einer autorisierten Lesefassung, die rund siebenhalb Stunden kürzer ist, aber mit gut 22 Stunden immer noch recht gewaltig daherkommt, können auch Freunde der Haptik bedient werden. Auf drei mp3-CDs und in einer stabilen Box wird diese Lesung als Hörbuch im klassischen Sinne ausgeliefert. Für beide Vertonungen stellt der gebürtige Berliner sicher, dass Langeweile beim Konsum des Hörbuchs nichts zu suchen hat. Arnolds einfühlsame Stimme sorgt dafür, dass man als Hörer emotional an den Schicksalen der Isings teilnimmt.

Peter Prange, der an dieser Stelle auch schon als Ken Follett der deutschen Geschichte tituliert wurde, bezeichnet sich selbstironisch als "Helmut Kohl der deutschen Belletristik". Nun gut, irgendwo dazwischen wird der Philosoph und Bestseller-Autor wohl tatsächlich anzusiedeln sein. Prange gelingt es in seiner Ising-Saga definitiv, zum Nachdenken anzuregen, und dabei zwei Fragen zu platzieren, die ihn auch schon über Jahre hinweg beschäftigten und in gewisser Weise Antrieb für das vorliegende Werk waren. Erstens: Wie kann es sein, dass eine Kulturnation wie die deutsche in eine solche Barbarei verfiel? Und zweitens: Wie hätte ich mich eigentlich damals verhalten? Gerade auf letztere wird jeder seine persönliche Antwort finden müssen. Mit dem Abschluss von "Eine Familie in Deutschland" ist Prange glücklicherweise noch nicht am Ende angekommen, was seine Beschäftigung mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts betrifft. Er hat seinen persönlichen Blick als Belletrist schon vorausgeworfen und ein Buch angekündigt, das sich mit der Weimarer Republik und den Jahren 1918 bis 1933 befassen wird.

Christoph Mahnel 
18.11.2019

 
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Das Buch:

Peter Prange: Eine Familie in Deutschland - Am Ende die Hoffnung

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Sprecher: Frank Arnold Berlin: Argon Verlag GmbH 2019 Spielzeit: 1327 Min., € 24,95 ISBN: 978-3-8398-1744-5

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