Hörbücher
"Kannst du deine Frau nicht leiden, geh zu Milberg, lass dich scheiden"
Der kleine Axel wächst wohlbehütet im Kieler Nobelviertel Düsternbrook auf. Sein Vater ist ein Scheidungsanwalt, ein erfolgreicher, wie sich angesichts der in Kiel plakatierten Werbeslogans vermuten lässt. Axels Mutter hütet die drei Kinder, die Familie selbst gehört zu den oberen Zehntausenden der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Bereits in den Sechziger und Siebziger Jahren verbringen die Milbergs ihre Freizeit im Tennisclub oder beim Segeln. Dennoch scheint der Alltag im hohen Norden nicht nur spannende und tagesfüllende Ereignisse bereit zu halten, oder wie soll man sich die Besessenheit des jungen Axel erklären, mit der er auf die Theorien des Erich von Däniken bezüglich außerirdischen Lebens anspringt. Honoratioren aus dem Umfeld der Familie und bekannte Persönlichkeiten pflastern den Weg des Protagonisten bei seiner Erwachsenwerdung.
"Düsternbrook" lautet der Titel des Debütromans von Axel Milberg. Der anno 1956 in Kiel geborene Schauspieler verlebte eben dort seine Kindheit und Jugend. Als "Tatort"-Kommissar in - wen wundert's - Kiel hat er seinen festen Platz in der sonntagabendlichen Unterhaltung der Bundesrepublik gefunden. Es scheint ein Trend zu sein, den Milberg mit dieser schriftstellerischen Initiation beschreitet. Viele "Tatort"-Kommissare sind in den vergangenen Jahren unter die Belletristik-Autoren gegangen: Andrea Sawatzki, Miroslav Nemec oder Ulrich Tukur haben ihre Debüts als Schreiberlinge hingelegt, der eine oder andere allerdings mehr schlecht als recht. Auch das vorliegende Werk von Axel Milberg hinterlässt ob des fragwürdigen Angangs zweigeteilte Ansichten bei der Beurteilung.
Es ist keineswegs so, dass der Autor hier über seine eigene erlebte Kindheit parliert. Laut eigenen Angaben hätten sich 30 Prozent des Buches tatsächlich so ereignet, die restlichen 70 Prozent seien Fiktion oder wären eingedenk der realen Gegebenheiten möglich gewesen. Nun ja, egal welche Metrik Milberg für diese Aufteilung angelegt hat, der am Leben des Schauspielers interessierte Zeitgenosse bleibt damit etwas ratlos zurück, was er denn von "Düsternbrook" zu halten habe: Was ist wahr? Was ist erstunken und erlogen? Es bleibt nichts anderes übrig, als den wahrheitsgemäßen biografischen Anspruch an dieses Werk über Bord zu werfen und die Geschichte als das zu nehmen, was Milberg damit mutmaßlich beabsichtigt hat: Mit einer Geschichte über das Heranwachsen zu unterhalten, die sich im selben Stadtviertel und zur selben Zeit wie im Leben des Autors ereignet hat.
Ein definitives Highlight hält bei aller Skepsis über die betrachteten Basis-Parameter das vorliegende Hörbuchformat bereit. Axel Milberg ist bei Hörbuchfreunden abseits seiner Schauspielerei vor allem als Sprecher unzähliger Hörbücher bekannt und geschätzt. Seine Performance am Mikrofon hält dabei stets allerhöchsten Ansprüchen stand. In der ungekürzten und sich über sechs CDs erstreckenden Lesung von "Düsternbrook" scheint er nochmals über sich hinausgewachsen zu sein. Beim Hören schlägt einem die kindliche Freude des Autors respektive Sprechers förmlich auf die Ohren. Milberg ist komplett in seinem Element und womöglich auch hier und da glückselig zurückversetzt in seine eigene Kindheit und Jugend. Eventuell ist dies auch seiner diebischen Freude geschuldet, die er ob des Mixes von Erinnerungen und Fiktion beim Vorlesen nochmals durchlebt.
Für das Genre sogenannter "Coming of Age"-Romane, die unterhaltsam und mit Tiefgang den Weg vom Kind zur Adoleszenz beinhalten, gibt es durchaus gelungenere Werke. Man denke nur an Klaus Modicks "Klack", das hierzulande Maßstäbe für diese Kategorie von Büchern gesetzt hat. Mit seinem anekdotenhaften Vorgehen schafft es Milberg, lediglich hier und da mit ein paar netten Geschichten zu amüsieren, ein roter Faden ist leider nicht zu erkennen. Daher lässt sich nicht einmal zweifelsfrei ergründen, ob der Autor chronologisch oder sprunghaft erzählen wollte. Nun ja, die Begegnungen mit dem schwulen Onkel, den spinnerten Ideen von Dänikens oder mit Gert Fröbe backstage zeigen schon, dass Milberg es versteht, partiell zu unterhalten und mit ganz viel Augenzwinkern seine Hörer zu erheitern. Man darf gespannt sein, ob die schriftstellerische Karriere Milbergs auch abseits von Kiel-Düsternbrook eine Fortsetzung erfahren wird.
Christoph Mahnel
01.07.2019