Hörbücher
Die intriganteste und unmoralischste Heldin Austens
Die frisch verwitwete Lady Susan Vernon zieht sich auf das Anwesen Churchill, dem Landsitz ihres Schwagers Charles Vernon und seiner Frau Catherine, zurück, um dem Gerücht zu entkommen, sie habe dem hübschen, aber verheirateten Mr. Manwaring, in dessen Haus sie vorher zu Besuch gewesen ist, schöne Augen gemacht. Doch auch auf Churchill ist sie nicht von allen ein gern gesehener Gast. Ihre Schwägerin Catherine ist auf die intrigante Mittdreißigerin, die sich so kurz nach dem Tod des Ehemannes aufs Unmoralischste auf die Suche nach einem neuen Kandidaten macht, nicht gut zu sprechen. Doch für die Witwe ist ein neuer Ehemann, der nicht nur ihre gesellschaftliche Stellung wahren, sondern auch ihre finanzielle Situation retten kann, unerlässlich.
Auch ihre 16-jährige Tochter Frederica soll möglichst gut verheiratet werden. Für Lady Susan steht der zukünftige Schwiegersohn bereits fest: Der reiche Sir James Martin soll es sein. Doch bei der Wahl des Heiratskandidaten hat die berechnende und eiskalte Lady Vernon die Rechnung ohne ihre Tochter gemacht. Diese will von dem einfältigen Sir Martin nichts wissen. Viel mehr interessiert ist sie hingegen an Reginald DeCourcy, dem jüngeren Bruder von Catherine Vernon, an dem Lady Susan jedoch auch selbst Gefallen gefunden hat.
Um die feine Gesellschaft und das richtige Heiraten geht es zwar in "Lady Susan", einem eher kurzen und in Briefform gehaltenen Roman, ebenso wie in den bekannten sechs Romanen von Jane Austen, doch das bereits formal aus der Reihe schlagende Werk der Britin besticht noch durch weitere Abweichungen vom gewohnt austenschen Stil. Die titelgebende Protagonistin ist mit Mitte Dreißig kein "junges Ding" mehr, das in die Gesellschaft eingeführt und verheiratet werden soll. Auch der Witwenstatus ist eher ungewöhnlich für die Austen-Heldinnen, die verheiratet werden sollen. Was aber jedem Austen-Fan besonders auffallen wird, ist das unschickliche und intrigante Verhalten der Lady, der ihr Ruf als gefährliches Weibsbild und Verführerin bereits vorauseilt. Abgesehen davon, dass hier einmal die Frau die Verführerin und Akteurin ist und nicht der Mann, sind auch die Rollen, was das Alter betrifft, umgekehrt. Während es nicht nur in Austens Romanen, sondern auch in der damaligen Gesellschaft Usus war, dass ältere Männer sich junge Frauen genommen haben, ist Lady Susan diejenige, die einen gut zehn Jahre jüngeren Mann - Reginald - ins Auge gefasst hat.
Ob "Lady Susan" eher zum Früh- oder Spätwerk Jane Austens, deren Todestag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährt, gehört, ist in der Forschung noch umstritten. Feststeht allerdings, dass dieser kurze Briefroman zu Austens Lebzeiten nie veröffentlicht wurde. Dass er hinter den sechs bekannten, großen Romanen der britischen Schriftstellerin nicht zurückstehen muss, beweist seine pointierte Sprache und der Witz, der Jane Austen heute zu einer erfolgreichen Verfasserin von Hollywoods besten Romantic Comedies machen würde.
Die Komplettlesung von "Lady Susan" umfasst nur zwei CDs und vergeht wie Flug. Mit der Aufnahme von "Lady Susan" schließt der Argon Verlag die Austen-Gesamtausgabe ab. In den vergangenen Jahren wurden sukzessive alle Austen-Romane mit Eva Mattes als Sprecherin vertont, die mit sanfter Stimme immer den richtigen Ton getroffen hat. Pünktlich zum 200. Todestag erscheint nach der Einzelveröffentlichung der Titel nun in diesem Jahr auch noch eine Gesamtausgabe aller Hörbücher. An dieser Stelle sei - und das mit Sicherheit im Namen aller Austen-Fans - ein Dank an den Argon Verlag ausgesprochen, der das austensche Werk in seiner Gänze, und vor allem immer als ungekürzte Lesung, in Hörbuchform herausgegeben hat.
Sabine Mahnel
07.08.2017