Bildbände
Wunder der Wirkung
Das könnte man dagegen halten: Das interessiert doch keine Sau ...! Derart abgeschmettert, sähen der Kunsthistoriker Thomas R. Hoffmann und sein Buch "Das sieht doch keine Sau ..." ziemlich alt aus. Zum Schaden für den Autor, den Verlag und auch die Neugierigen wie die Interessierten. Die müssen ja keine Kunsthistoriker sein.
Das sorgfältig ausgeführte, in allem kurzweilige Buch ist für die willigen Kunstfreunde und Museumsbesucher gemacht. Da darf man doch ein bisschen provozieren? Oder nicht? Hoffmann will die allgemeine Aufmerksamkeit anstacheln. Nichts anderes! Er ist kein Provokateur. Er ist ein reger, engagierter Freund der Künstler und Kunstwerke. Also weder ein neunmalkluger Kunsthistoriker, traktierender Theoretiker oder langweiliger Mittler und Vermittler. Die Kunst bereitet ihm Gefallen, und er will sich ihr gefällig erweisen. Das tut gut. Und er tut's sechzehn mal. Lobend, ohne Lobhudelei.
Der Autor kann auch lieben, was den geliebten Künstlern nicht gelungen, was das Unvollkommene ist. Hoffmann spricht über die "kleinen Fehler", die die Leberflecken der "großen Kunst" sind. Er zeigt mit dem Finger auf das, was "keine Sau" sieht. Außer man sieht wie der freundliche Blicklenker. In dem ist keine Schadenfreude, wenn er sagt, was das Unkorrekte im Korrekten ist. Da kommt die Frage auf: Wer entscheidet, was das Gelungene, was das Misslungene ist? Was ist in der Kunst das künstlerisch Gewünschte, was das Ungewünschte? Wann ist das "Fehlerhafte" nicht eine künstlerische Interpretation?
Mit dem Autor streiten? Eine Debatte anfangen, die die Autorität der Bildbetrachter in Zweifel zieht? Diejenigen, die sich längst an den langen Arm von Cézannes "Der Knabe mit der roten Weste" (leider nicht im Buch) gew?önt haben. Oder das ins Endlose gestreckte Bein, das der Maler Tischbein dem Meister Goethe "angemalt" hat. Ach, wer wird denn? Einen frühen Rubens mit Verachtung strafen, mit einem da Vinci hadern oder Caspar David Friedrich "Eismeer" anders sehen, als es bisher gesehen wurde?
Lassen Sie sich was von Hoffmann erzählen. Lassen Sie sich von ihm nicht zur Sau machen, was ohnehin nicht seine Art ist. Er weiß sehr wohl, wie schnell schöner Schein obsiegt, wie das Wunder der Wirkung wirkt. Er konzentriert die Achtsamkeit der Kunstbetrachter auf die Schwächen des Künstlerischen, die leicht über Schwächen der Kunst hinwegsehen lassen. Kein belehrender Ton des Lehrers Thomas R. Hoffmann. Seine selbstbestimmte Aufgabe ist es, die Bildung der Kunstbetrachtung zu verbessern und zu stärken. Schließlich sollen die Kunstbetrachter nicht immer wieder vor der Kunst stehen, wie die Kuh vorm neuen Tor. Das Buch "Das sieht doch keine Sau ..." kann man mit ins Museum schleppen oder auf der Couch genießen.
Bernd Heimberger
21.01.2013