Bildbände
Manches Bild ist eine rechte Augenweide
Wenn man dem Vorwort von Harold Acton glauben wollte, soll das Buch den Verfall der Sitten des venezianischen Renaissance-Adels bebildern. Jedenfalls läßt der Autor die Leser nicht lange im Unklaren, ob er selbst sich den der historischen Literatur zu entnehmenden Vorwurf der Dekadenz zu eigen macht und die Landpartien der reichen Veneter des 16. und 17. Jahrhunderts unter sozialen Gesichtspunkten betrachten will. Natürlich wäre die Übertragung der sozialen Frage des 19. und 20. Jahrhunderts auf das Settecento ein heftiger Anachronismus.
Das launig geschriebene und literarische Kenntnisse ausweisende Entree, das unbequem zu lesen ist, weil es ganz in kursiv gedruckt ist, beleidigt den Leser mit einer von Hochmut und Verachtung der arbeitenden Bevölkerung getragenen Äußerung, daß es heute nämlich nicht mehr lohne, Adliger zu sein. Ist das eine gewollte Publikumsbeschimpfung oder eine schnöde Gedankenlosigkeit? Ob Acton mit der Äußerung larmoyanter Bitterkeit ob verlorener Privilegien des Adels - beide langweilen das Publikum heute immer mehr, auch weil Gräfinnen und Baronessen an der Supermarktkasse sitzen und für ihr Brot offensichtlich etwas Sinnvolles leisten -, ob Lord Acton also wohl der angemessene Beiträger zu diesem schönen Buch gewesen ist?
Die Erläuterungen von Peter Lauritzen entschädigen für das verunglückte Vorwort. Es wird sofort klar, daß die Villen des Veneto durch den bestimmenden Einfluß Palladios weltweit wirksame Architekturgeschichte geschrieben haben. Die Engländer nämlich begeisterten sich im 18. Jahrhundert für die Arbeiten Palladios und kopierten sie überall im Commonwealth, im Mutterland ebenso wie in Irland, Singapur, New Deli und Auckland. Wenige Bauwerke haben so umfassend auf die Architekturgeschichte gewirkt. Die architekturhistorische Einleitung Lauritzens zeugt von einer intimen Kenntnis des Gegenstandes; sie ist überdies gut geschrieben.
Es liegt ein prächtiger Bildband in der Hand, der Eindrücke von der Schönheit der Landschaft und der historischen Architektur vermittelt, auch und vor allem, weil nicht alles nach modernster Manier restauriert und saniert erscheint. Schade nur, daß die Collection Heyne nach dem Tod des Verlegers in die Rechtekiste gegriffen hat, um uns einen 14 Jahre alten Band aus dem Mondadori-Verlagsprogramm zu verkaufen. Der Druck ist sehr gelungen, manches Bild eine rechte Augenweide, aber manches Foto ist aufnahmetechnisch nicht zufriedenstellend. Dies schmerzt um so mehr, weil das Buch ansonsten zu empfehlen ist - als ein Bildband zu einem der brillantesten und schöpferischsten Momente in der Geschichte der europäischen Kultur und Zivilisation.
mhh
11.02.2002