Romane

Eine berührende und erschütternde Geschichte dreier außergewöhnlicher Frauenschicksale und über die zerstörerische Kraft der Colonia Dignidad

Nach dem Tod ihres Lebensgefährten reist Anne Westhoff nach Grösitz (Nordrhein-Westfalen), um von ihm Abschied zu nehmen. Auf der Suche nach der Sterbestelle trifft die Verhaltensforscherin auf Renate. Die beiden Frauen finden sich auf Anhieb sympathisch. Sie freunden sich an. Aber etwas ist seltsam: Renate benimmt sich äußerst distanziert gegenüber Anne - ganz so, als hüte sie ein düsteres Geheimnis. Eben dieses droht ans Tageslicht zu kommen, als Anne die E-Mail von einem Rechtsanwalt aus Chile liest. Offenbar waren Renate und ihr Ehemann Horst Mitglieder einer Sekte. Was die beiden durchmachen mussten, kann Anne einfach nicht fassen. Dabei sind Renate und Horst nur zwei von über 300 Menschen, die den Worten Paul Schäfers glaubten und ihm nach Chile folgten, ohne zu ahnen, was sie dort erwarten würde.

Eine weitere ist Christa Bellstedt. Sie und ihre Freundin Ruth lernen im Jahrhundertsommer 1959 beim mittäglichen Baden am Fluss Erich kennen. Er gehört zu einer Gruppe freikirchlicher Christen. Dieser ersten Begegnung folgen eine zweite, eine dritte und viele weitere. Schon bald sehen sich Christa und Ruth als Teil der Gemeinschaft. Doch im Gegensatz zu Christa verfällt Ruth nicht voll und ganz den Verführungskünsten von "Onkel Paul", dem Anführer. Nach ein paar Wochen zieht Ruth sich immer mehr zurück, während Christa, blind vor Liebe zu Erich, ihre Seele direkt an den Teufel zu verkaufen gewillt ist. Schließlich wandert sie mit Erich und den anderen nach Chile aus, um beim Aufbau einer christlichen Gemeinschaft, der Colonia Dignidad, zu helfen. Doch was als Abenteuer beginnt, wird bald zum Albtraum.

Noch Jahrzehnte später plagen Ruth Schuldgefühle, die beiden nicht aufgehalten zu haben. Ihre Tochter Anne indes versucht sie glauben zu machen, dass sie Christa nur flüchtig kenne. Erst nach und nach stößt Anne auf die Wahrheit. Und nichts ist mehr, wie es war. Die Schatten der Vergangenheit holen die Mittvierzigerin und deren Mutter plötzlich mit aller Wucht ein. Ruth muss sich ihrer Verantwortung und einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte stellen, wenn sie jemals wieder froh in die Zukunft blicken möchte. Das allerdings ist gar nicht so leicht, wenn man so lange vor der Tatsache geflüchtet ist, die eigene Freundin im Stich gelassen zu haben ...

Anja Jonuleit bringt uns mit "Rabenfrauen" zum Nachdenken. Was man hier außerdem in die Hand bekommt, ist Literatur auf höchstem Niveau. Diese Geschichte wird einem für immer in Erinnerung bleiben, brennt sich regelrecht in das Gedächtnis ein. Noch lange nach der Lektüre sitzt man mit offenem Mund da und ist schockiert über das, was in diesem Buch steht - und auch wütend. Wie konnte man so etwas bloß geschehen lassen? Es droht einem das Herz vor Traurigkeit zu zerspringen. Spätestens nach der letzten Seite versinkt man in einem Meer aus Tränen und das Leben jeden Lesers ist vollkommen andere als noch wenige Stunden zuvor. Die deutsche Autorin schafft mit ihren Worten ganz großes Gefühlskino. Bei ihren Büchern bleibt kein Auge lange trocken. Also schnell mehrere Packungen Taschentücher kaufen, bevor man mit dem Lesen beginnt.

Schönere und berührendere Unterhaltung als in den Romanen von Anja Jonuleit findet man nur selten zwischen zwei Buchdeckeln. Diese sind wahre Meisterwerke der Emotionen, so auch "Rabenfrauen". Von diesem Leseerlebnis wird einem geradezu schwindelig. Man kann sich diesem partout nicht entziehen. Jonuleit beweist mal wieder, dass sie definitiv eine unter wenigen Top-Schriftstellerinnen bei uns ist. Sie könnte es sogar mit einer Kate Morton aufnehmen.

Susann Fleischer
11.07.2016

 
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Das Buch:

Anja Jonuleit: Rabenfrauen

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München: dtv 2016
400 S., € 14,90
ISBN: 978-3-423-26104-3

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