Romane

Bekenntnis des Bruders

Wer einen sinnlos-leidenden Sterbenden begleitete, versteht Isabelle. In schwerster, schlimmster Stunde spekuliert sie. Sie denkt daran, ihrem todkranken Bruder Jean-Nicolas ein Kopfkissen ins Gesicht zu dr?cken. Ohne zur M?rderin zu werden, stirbt der Todgeweihte drei Wochen nach seinem 37. Geburtstag. Zumindest die literarische Welt hatte den Toten bereits zu Lebzeiten als einen der Gr??ten ihrer Zunft erkannt. Der Mann, der am 10. November 1891 in der Hafenstadt Marseille verschied, war das Wunderkind Arthur Rimbaud, der seinen Namen in die S?ule der Literatur gemei?elt hatte. Die wenigen Jahre, die Rimbaud der Literatur geh?rte, sind zum vielberedeten Jahrtausendereignis geworden. Die Zuneigung nimmt kein Ende. Auch Philippe Besson liebt Arthur Rimbaud. Er hat sich eine Chance gegeben, dem Geliebten n?her zu kommen als die meisten, die den Dichter lieben. Besson hat sich die Kleider der Rimbaud-Schwester Isabelle angezogen. Er bietet den Lesern ein fiktives Tagebuch der Schwester an, das die letzten, bitteren sieben Monate Arthurs schildert und zugleich eine episodische Beschreibung der Lebenswege des Arthur Rimbaud ist. Genauer: Das Tagebuch ist ein Buch der Nachfragen nach dem Leben Rimbauds wie des Lebens an sich. Offenbart Isabelle des Bekenntnis des Bruders, da? seine gr??te Lebensleistung darin bestand, sich als Liebenden anzunehmen, spricht der Autor von ?Br?chige Tage? sicher auch von sich und f?r sich. Philippe Besson will wissen, warum die Pers?nlichkeit Arthurs war, wie sie war. Das hei?t, der Schriftsteller mu? sich nicht dem Dichter der Dichtungen widmen und ist doch nicht ohne Ehrgeiz, durch die Darstellung der letzten Tage Rimbauds R?ckschl?sse auf den Poeten zu erm?glichen.

Daf?r, da? eine ?Unwissende?, wie sich Isabelle nennt, ?ber ein ?R?tsel? schreibt, daf?r wei? die Unwissende dann doch zuviel, daf?r ist das R?tsel dann doch zu wenig r?tselhaft. Wenn Besson auch vieles nicht ausf?hrt, ausf?hren mu?, was die Biographie Rimbauds machte, er wei? mehr als er die gottesf?rchtige, ergeben Dienende Isabelle wissen l??t. In ihrem von Besson diktierten Tagebuchaufzeichnungen, verst?ndigt sich die Schwester dar?ber, was den jugendlichen Dichter und den reisenden Kaufmann trieb, das Unber?hrte zu ber?hren, das Unerfahrene zu erfahren, das Unerforschte zu erforschen. Also alles, was aus einem gew?hnlichen Leben das ungew?hnliche machte, das alle Grenzen entgegensetzte. Da? der grenzenlose, ausgegrenzte Arthur Rimbaud schlie?lich in den Grenzen des Alltags stirbt und bestattet wird, ist Teil der Tragik des Au?ergew?hnlichen. Die Au?ergew?hnlichkeit zu achten und zu lieben ist dem Verfasser des Tagebuch-Romans das Selbstverst?ndlichste. Dem Selbstverst?ndlichen eine Sprache zu geben, eine knappe, klare, gegenw?rtige Sprache, kann nur einem Schriftsteller einfallen und gelingen, der seine innige Liebe zu Arthur Rimbaud verbirgt. Besson liebt Rimbaud. Der Tagebuch-Roman ?Br?chige Tage? ist ein Bekenntnis zur Liebe. Von einem Liebenden f?r einen Liebenden.

Bernd Heimberger
16.06.2006

 
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Das Buch:

Philippe Besson: Brüchige Tage. Aus dem Franz. Caroline Vollmann

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München: dtv 2006
158 S., € 14,00
ISBN: 3-4232-4530-1

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