Romane
"Wabi Sabi"
Der junge Literaturprofessor Samuel wird für ihn völlig überraschend von seiner langjährigen Freundin verlassen, die er nur auf Geschäftsreise wähnte. Am Rande einer Depression befolgt er den Rat seines guten Freundes, eines Exzentrikers, der einige Stockwerke über ihm wohnt. Denn Samuel hat eine seltsame Postkarte erhalten, augenscheinlich aus Japan, deren Rätsel Anlass zu einem Selbstfindungstrip gibt.
Zum einen also der Recherche wegen und zum anderen, um Abstand zu gewinnen, begibt sich Samuel nach Japan. Dort begegnet er in einer Bar einem ähnlich trostlosen Tropf wie ihm selbst und dessen Nichte. Die junge Frau und Samuel verbringen eine ereignisreiche Zeit miteinander, in der er die Botschaft der Postkarte zu verstehen lernt. Allerdings findet Samuel auch heraus, dass es sich bei der Karte um eine Fälschung handelt ...
Das ästhetische Konzept des "Wabi Sabi", dem Samuel auf der Spur ist, beschreibt, dass die wahre Schönheit oft nicht im Vollkommenen, sondern im Verborgenen und Vergänglichen läge. Tatsächlich lässt auch Miralles einige Handlungsstränge offenbar bewusst unvollendet: der Leser erfährt weder, warum sich seine Freundin nun wirklich von Samuel getrennt hat, noch, wo sein ominöser anderer Freund hin verschwunden ist.
Weiter betraut ihn eine "katzenähnliche" Studentin auf eigenartige Art mit dem Mysterium einer CD, auf der ein Sänger in einer nicht zu identifizierenden Sprache singt. Samuel macht den Musiker zwar ausfindig - es stellt sich heraus, dass die Sprache eine Eigenkreation des jungen Mannes ist -, doch dann verläuft diese Nebengeschichte im Sande. Auch soll Samuel am Ende des Buches Patenonkel eines Kindes werden, das durch künstliche Befruchtung empfangen wurde, folglich weiß man nichts über den Vater, und dessen Mutter eher eine flüchtige Freundin von ihm ist.
In der westlichen Welt ist man nun von solch "losen Enden" nicht sonderlich angetan, doch ist genau dies eine wesentliche Aussage von "Wabi Sabi". Manchmal muss man akzeptieren, dass es mehr Fragen als Antworten gibt und dass einem das Schicksal ein befriedigendes Ende oftmals vorenthält. Und es liegt Schönheit darin.
Jennifer Runde
14.12.2015