Romane
Die letzten Atemzüge der römischen Republik
Marcus Tullius Cicero bestritt sein Leben in einer der turbulentesten Phasen des Römischen Reichs. Sein vielfältiges Wirken fiel zeitlich in das erste vorchristliche Jahrhundert, bekanntermaßen die Periode, in der zunächst Marius und Sulla ihre Fehde austrugen, mit dem ersten Triumvirat die Schwergewichte Caesar und Pompeius Rom in einen blutigen Bürgerkrieg führten und der Republik gänzlich der Atem ausging. Cicero seinerseits verzeichnete erste öffentliche Erfolge als Advokat und durchlief anschließend dank seines messerscharfen Verstands und seiner rhetorischen Fähigkeiten konsequent die politische Ämterlaufbahn mit dem Höhepunkt seines Konsulats im Jahre 63 v. Chr. War es ihm in jungen Jahren noch gelungen, die politischen Scharmützel geschickt und mit heiler Haut zu umschiffen, kam er später, als er den Mächtigen und ihren Launen immer näher stand, nicht umhin, das eine oder andere Jahr im Exil verbringen zu müssen. Schließlich erkannte Cicero in seinem Lebensherbst, dass er seine umfangreichen Erkenntnisse und Erfahrungen zu Papier bringen und der Nachwelt erhalten sollte. Viele Lateinschüler fragen sich auch im einundzwanzigsten Jahrhundert gewiss noch, ob sie sich darüber freuen dürfen oder grämen sollen.
Zeit seines Lebens wurde Cicero von seinem treuen Schreiber Tiro begleitet. Dieser war ihm zunächst als Sklave zu Diensten, aber auch später nach der Entlassung in die Freiheit weiterhin loyal und aus freien Stücken als Vertrauter. Tiro überlebte seinen Herren um vier Jahrzehnte und hatte damit genügend Zeit, sich um den historischen Nachlass Ciceros zu kümmern. Er veröffentlichte zahlreiche Reden und auch eine historisch verbürgte Biografie Ciceros, die leider nicht das Ende des Römischen Reichs überlebte. Dieser Tage wandelt mit Robert Harris ein englischer Schriftsteller auf den Spuren Tiros. Als Journalist und Reporter verdingte er sich einst bei der BBC, bevor er vor mehr als zwei Jahrzehnten als Schriftsteller die Bühne betrat und mit "Vaterland" ein fulminantes Debüt hinlegte. Das soeben erschienene "Dictator" ist der zehnte Roman aus der Feder von Robert Harris und markiert den lange erwarteten Schlusspunkt und Harris‘ Meisterwerk, die sogenannte "Cicero-Trilogie".
Laut eigenen Aussagen hat Harris insgesamt zwölf Jahre seines Lebens mit Cicero verbracht. Die ersten zwei Jahre dieser Liaison hat er sich ausschließlich dem Studium von Ciceros Leben gewidmet, bevor er im Jahre 2006 in "Imperium" den Aufstieg Ciceros vom Anwalt zum Konsul zeichnete. Anno 2009 war die Fortsetzung mit dem Titel "Titan" erschienen, worin Ciceros Konsulat und seine Aufdeckung der Catilinischen Verschwörung thematisiert wurde. Am Ende stand schließlich Ciceros halb freiwillige, halb erzwungene Flucht ins Exil. Dort beließ Harris den römischen Staatsmann für einige Jahre, da er in der Zwischenzeit noch zwei weitere Romane zu völlig anderen Themen einschob, was seine und Ciceros Anhänger gar fürchten ließ, dass der sehnsüchtig erwartete dritte Teil gar nicht mehr erscheinen würde. Doch nun zieht Harris einen krachenden Schlussstrich unter diese Befürchtungen und hat mit "Dictator" der "Cicero"-Trilogie einen würdigen Abschluss bereitet.
Das vorliegende Buch setzt nahtlos im Jahre 58 v.Chr. am Ende von "Titan" ein, so dass der Leser Cicero und den Ich-Erzähler Tiro ins Exil nach Thessaloniki begleitet. Was folgt, sind die turbulenten Jahre der römischen Republik, in denen der immer mächtiger werdende Caesar dem zweiten Schwergewicht Roms, Pompeius Magnus, die Stirn bietet. Auch der integre und moralisch gute Mensch Cicero vermag nach seiner Rückkehr nach Rom die Katastrophe nicht zu verhindern. Vor und während des Bürgerkriegs hat er gar erhebliche Schwierigkeiten, seine Position und Seite im Konflikt zu finden. Am Ende aller Tage ist es jedoch vor allem überraschend, dass ein derart öffentlicher Mann wie Cicero die Prophezeiung Caesars, dass Cicero ihn noch überleben werde, wahrmachen konnte, wenngleich nur um einige wenige Monate.
Robert Harris hat die Blütejahres seines schriftstellerischen Wirkens mit Marcus Tullius Cicero verknüpft. Als Belohnung wird ihm diese Trilogie garantiert einen Platz im Olymp der zeitgenössischen Schriftsteller verschaffen. Sicherlich hatte Harris auch zuvor schon mit seinen Romanen einige nachhaltige Erfolge gefeiert, doch wird man ihn als denjenigen Schriftsteller in Erinnerung behalten, der die "Cicero-Trilogie" verfasst und damit ein Musterbeispiel für historische Biografien in Romanform abgeliefert hat. Mit seinem klaren und flüssigen Schreibstil hat er selbst denjenigen, der mit Kenntnissen um die römische Geschichte und ihre Protagonisten in die drei Bände gegangen ist, in den Bann gezogen und ihm währenddessen keine Pausen gegönnt. So liegt nun das Meisterwerk Robert Harris‘ auf dem Tisch, was durchaus ein Motivationsloch bei diesem befürchten lässt. Schließlich befindet sich Harris nun genau in dem Alter, in dem Cicero anno 43 v. Chr. für immer seine Augen schloss.
Christoph Mahnel
07.12.2015