Romane

Im neuesten Roman von Paulo Coelho gibt es viele Parallelen zu seinem eigenen Leben

Die Vorstellung vom "Zahir" entstammt der islamischen Tradition und bezeichnet eine Sache oder eine Person, mit welcher, wir erst einmal in Kontakt getreten sind, ganz allmählich unsere Gedanken ausfüllt, bis wir uns auf nichts anderes mehr konzentrieren können. Mit der Erklärung dieses Begriffes beginnt Paulo Coelho seine Geschichte – und bald wird dem Leser klar, wer dieser Zahir ist: Esther, die Frau des Ich-Erzählers, die spurlos verschwunden ist. Der Protagonist kann sich das Verschwinden nicht erklären: Er liebt seine Frau und war sich ihrer Liebe sicher, hielt ihre Ehe für gut. Am Anfang fühlt er sich frei, muss allerdings bald erkennen: "Doch was ist Freiheit? ... Die Freiheit, elendiglich allein zu sein." Plötzlich wird ihm klar, dass die Beziehung nicht so glatt und reibungslos verlief, wie er sich und der Polizei glaubhaft machen will. Ein junger Mann aus Asien öffnet ihm die Augen und gibt ihm Möglichkeiten für neue Sichtweisen.

Im neuesten Roman von Paulo Coelho gibt es viele Parallelen zu seinem eigenen Leben: Aufenthalte in einer psychiatrischen Klinik, finanzielle Unabhängigkeit als Pop-Poet, eine Wanderung auf dem mittelalterlichen Pilgerpfad, dem Jakobsweg, nach Santiago de Compostela ... Esther hilft dem Protagonisten mehr als einmal, sein Leben zu ändern – sie ist bei ihm, solange er sich entwickelt. Als es zum Erfolg und damit auch zum Stillstand kommt, verschwindet sie. Zu Beginn ist der Mann hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie wiederzusehen und dem Genießen der neu gewonnenen Freiheit. Er redet sich ein, "erwachsen genug zu sein um ohne sie zu leben", aber Esther ist immer und überall gegenwärtig. Im Laufe der nächsten Zeit wird Esther zum Zahir und es geht längst nicht mehr darum, nur wissen, warum sie ihn verließ. Er wird sich bewusst, wie sehr er diese Frau liebt. Und er will endlich eine Entscheidung: "Lieber höre ich von ihr: Geh weg! als Tag und Nacht mit dem Zahir zu verbringen."

Es geht vorwiegend um Liebe und Leid, um Glück und Verlassenwerden, um Stehenbleiben und Weitergehen, um Einsamkeit und Zusammensein. Die Liebe wird seziert: Ändert sie sich in einer Beziehung? In einer Ehe? Durch die Zeit? Oder "gewöhnt" man sich nur an die Liebe und geht verändert mit ihr, mit dem Partner, um? Wo bleibt die "Energie der Liebe", wenn Nähe und Zeit wachsen? Was ist schlimmer: eine Trennung oder das Nebeneinanderherlaufen wie ein paralleles Schienenpaar?

Am Ende des Buches steht wieder eine Pilgerreise. Der Erzähler ist auf dem Weg zu Esther – und zu sich selbst.

ker
30.10.2005

 
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Das Buch:

Paulo Coelho: Der Zahir

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Zürich: Diogenes Verlag 2005
342 S., € 21,90
ISBN: 3-2570-6464-0

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