Romane

Don Camillo und Peppone gegen den Duce

Das zarte Pflänzlein Fußball-Weltmeisterschaft bedarf im Jahre 1934 noch intensiver Pflege und steigender Aufmerksamkeit um acht Jahrzehnte später zu dem weltumspannenden Event heranzuwachsen, das einen Monat lang die gesamte Erdbevölkerung den Atem anhalten lässt. Doch vier Jahre nach der Premiere in Uruguay hat sich in Italien der "Duce" Benito Mussolini der Idee verschrieben, die Veranstaltung für seine Zwecke zu missbrauchen. Selbstredend soll natürlich die heimische "Squadra Azzura" auf jeden Fall den Titel gewinnen, um der Welt die Macht der faschistischen Idee zu demonstrieren. Nebenbei möchte Mussolini allerdings auch noch einen Geldsegen für die angeschlagene Staatskasse erzielen. Dafür scheinen ihm alle Mittel Recht zu sein.

Im kleinen Dorf Piagnolia, in der Nähe von Florenz, erwartet man gespannt die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft. Dort überschlagen sich jedoch in den Wochen vor Turnierbeginn die Ereignisse. Zunächst trifft mit Nick Soriano ein amerikanischer Journalist ein, der über das Turnier berichten soll, bei seinen Recherchen zum Turnier jedoch von einigen Ungereimtheiten erfahren hat. Mit Guido Ventura kehrt ein verlorener Sohn des Dorfes zurück, der Mussolini um einen Geldkoffer mit einhunderttausend Lire erleichtert hat. Rasch finden sich die Schergen des Duce in Piagnolia ein, um die Staatskasse zu rehabilitieren und um störende Elemente im Vorfeld der Titelkämpfe zu beseitigen. Die Aufgabe, die Anfragen der unangenehmen Besucher abzubügeln, obliegt nun Pater Corello und Agostino, dem Bürgermeister von Piagnolia.

Matthias von Arnim schreibt seit vielen Jahren erfolgreich als Wirtschaftsjournalist über das Thema Geld in einschlägigen Magazinen und Zeitungen. "Piagnolia" ist sein erster Roman, für den er ein frühes Weltturnier mit den damaligen Möglichkeiten, viel Geld mit wenig Aufwand zu verdienen, verquickt hat. Von Arnim beschreibt die frühen Versuche von Spielmanipulationen und organisiertem Wettbetrug. Dies hat er in ein sehr reales Fundament gegossen, denn stehen die Titelkämpfe von 1934 doch auch heute noch unter starkem Verdacht der großflächigen Beeinflussung. Die in "Piagnolia" beschriebenen Schiedsrichterbestechungen, Dopingversuche, Drangsalierungen einzelner Nationalmannschaften und den davon profitierenden Wettbetrügereien sind heute in Teilen tatsächlich belegt. Zumindest aber halten sich für alle dubiosen Vorgänge in der Fußballszene hartnäckige Gerüchte, dass damals im Jahre 1934 nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

Beim Lesen des vorliegenden Buchs erhärtet sich peu à peu der Verdacht, dass der Autor in seiner Kindheit sehr stark von den Filmen mit Don Camillo und Peppone beeinflusst worden ist. In den Siebzigern und Achtzigern liefen hierzulande die Filme mit dem schlitzohrigen Priester und dem schlagkräftigen Bürgermeister des Öfteren in einem der beiden Fernsehkanäle. Zwar ziehen Agostino und Pater Corello anders als ihre mutmaßlichen Vorbilder jederzeit an einem Strang, doch genau wie diese sind sie sich in ihrer Abneigung gegenüber dem faschistischen Italien einig und bemühen sich mit allen Kräften um das Wohl der kleinen Gemeinde. Piagnolia gerät dabei derart in die Mühlen der Politik und in vielfältige Verstrickungen, dass es der klugen und besonnenen Köpfe von Pfarrer und Bürgermeister bedarf, die so manche Vorschrift verbiegen und mehrfach über ihren moralischen Schatten springen müssen.

Von Arnim begeistert den historisch interessierten Fußballfan mit der in den Roman eingebetteten Schilderung der Ereignisse rund um die zweite Fußball-Weltmeisterschaft, an der übrigens erstmals eine deutsche Mannschaft teilnahm und auf Anhieb den dritten Platz erreichte. Wer die in "Piagnolia" geschilderten Spielberichte mit den unfassbar erscheinenden Fehlentscheidungen in historischen Fußballbüchern nachschlägt, wird erkennen, dass von Arnim die wahren Vorgänge nur mit wenig Fiktion würzen musste, um einen derart rasanten und dramatischen Roman vorzulegen. Aus heutiger Sicht erscheint insbesondere der skurrile Qualifikationsmodus zur zweiten Fußball-Weltmeisterschaft völlig absurd, wenn man sich vor Augen führt, wie einfach es damals war, den gewünschten Mannschaften die sichere Teilnahme an den Titelkämpfen zu ermöglichen.

"Piagnolia" ist ein ungewöhnliches und erfrischendes Buch zur Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften. Ungewöhnlich ist vor allem die verwendete Form des Romans, obgleich der Autor sehr nah an der Realität bleibt. Jedoch macht genau diese Konstellation das Lesevergnügen für den geneigten Fußballfreund aus und die Lektüre zu einem erfrischenden Erlebnis. Rechtzeitig zur anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, dem wohl gigantischsten Turnier aller Zeiten, erfreuen diese Einblicke in eine Zeit, als die Fußball-Weltmeisterschaften noch Laufen lernten, den Freund des runden Leders.

Christoph Mahnel
24.03.2014

 
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Das Buch:

Matthias von Arnim: Piagnolia

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2014
288 S., € 14,90
ISBN: 978-3-730-70096-9

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