Romane

Das Romandebüt nun endlich auf Deutsch

Sommer 1924 in einem Urlaubsort an der französischen Biskaya. Yves Harteloup, Mitte dreißig, kehrt an den Ort zurück, den er mit unbeschwerten Kindheitserinnerungen verbindet. Nach den schweren Kriegsjahren, in denen der einstige Lebemann dreimal verwundet wurde und sein gesamtes Vermögen verlor, möchte er in Erinnerungen schwelgend einen Sommer lang zumindest gedanklich zur einstigen Leichtigkeit seines Lebens zurückfinden. Am Strand begegnet er einer jungen Frau, die er fortan jeden Tag trifft und mit der er eine Affäre beginnt. Denise Jessaint ist verheiratet, Mutter einer Tochter und sehnt sich nach der großen Liebe, die sie bis zu ihrer Begegnung mit Yves noch nicht erlebt hat.

Denise, die Tochter aus reichem Hause und Ehefrau eines gut situierten Mannes, und Yves, einst ein Mann, der nicht arbeiten musste, nun ein einfacher Angestellter mit Kriegstraumata, verleben unbeschwerte Wochen der Liebe in dem kleinen Küstenort Hendaye unweit der spanischen Grenze. Als der Sommer sich dem Ende neigt und beide wieder nach Paris zurück müssen, reisen sie ab mit dem Vorhaben, ihre Affäre auch in den Alltag zu retten. Dort jedoch prallen zwei Welten aufeinander, die in der sommerlichen Traumwelt fern der Realität noch nicht so offensichtlich zu Tage getreten waren. Während Yves von morgens bis abends im Büro schuften muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen - was ihm mehr schlecht als recht gelingt - weiß Denise nicht, wie sie die Zeit zwischen der Stoffauswahl für ein neues Kleid und dem Herrichten für den Abend mit Yves verbringen soll. Yves lebt schließlich über seine Verhältnisse und kann sich nicht länger teure Restaurant- oder Theaterbesuche leisten. Die verbotene Liebe, die so romantisch als Urlaubsliebe begann, droht am Alltag und an den finanziellen Nöten Yves' zu zerbrechen.

Irène Némirovsky, Tochter eines jüdischen Bankiers aus Kiew, die mit ihren Eltern vor der Oktoberrevolution nach Frankreich floh, wurde im Paris der 1920er Jahre schnell zum gefeierten Star der dortigen Literaturszene. Nach Némirovskys Tod 1942 in Auschwitz ist ihr gesamtes Werk zunächst in Vergessenheit geraten, bis es 60 Jahre später wiederentdeckt wurde und ihr unvollendeter Roman "Suite française" zum Welterfolg wurde. Ihr Romandebüt "Le Malentendu", "Das Mißverständnis", das sie im Alter von 23 Jahren schrieb, ist nun erstmals auf Deutsch erschienen.

Némirovskys großes Talent offenbarte sich ohne Frage schon in jungen Jahren. Die Liebesgeschichte zwischen Yves und Denise erzählt sie mit großer Sensibilität und einem Blick für Details, ohne jemals in die seichten Gewässer der Trivialliteratur abzudriften, was auf 170 Seiten, auf denen sich alles immer nur um die Affäre der beiden und beider Nöte und Ängste dreht, nicht immer einfach ist. So manch anderem Romancier wäre dieses Kunststück sicherlich nicht gelungen. Allein schon deshalb ist Némirovsky eine literarische (Wieder-) Entdeckung, die zu den größten ihres Fachs gehört. Auf weitere Neuauflagen längst vergessener Werke der französischen Schriftstellerin ist zu hoffen.

Sabine Mahnel
13.01.2014

 
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Das Buch:

Irène Némirovsky: Das Mißverständnis. Aus dem Französischen von Susanne Röckel

München: Knaus Verlag 2013
172 S., € 17,99
ISBN: 978-3-8135-0467-5

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