Romane

Die Sehnsucht nach Meer

Die drei Alessi-Schwestern lieben denselben Mann. Die älteste der drei, Roberta, hatte den Dichter Alessandro Lang einst im Jahre 1984 als erste kennengelernt. Kurzerhand ließ sie ihren damaligen Jugendfreund sitzen und begann ein Verhältnis mit Alessandro. Nach einigen glücklichen Jahren war jedoch die Euphorie verflogen und Lucia, die mittlere der drei Schwestern, stillte ihren Manneshunger mit dem Ex-Freund ihrer älteren Schwester. Doch damit nicht genug stolpert auch Nannina, die jüngste im Hause Alessi, einige Jahre später bei einer Lesung in München über den verflossenen Liebhaber ihrer Schwestern und verfällt ihm mit Haut und Haaren.

Die im kroatischen Split geborene und seit fast zwei Jahrzehnten in Deutschland lebende Natasa Dragnic hatte vor knapp zwei Jahren mit ihrem Debütroman "Jeden Tag, jede Stunde" einen großartigen Erfolg gefeiert. Die Geschichte von Dora und Luka verzauberte die Leser in Deutschland so sehr, dass die Ankündigung ihres neuen Romans mit großer Spannung und einem hohen Interesse aufgenommen wurde. "Immer wieder das Meer" sorgt zumindest mit dem Cover und den wie auch schon bei ihrem Erstling darauf dominierenden Blautönen für einen sofortigen Wiedererkennungseffekt.

Das amouröse Wechselspiel der drei Schwestern in "Immer wieder das Meer" begeistert von der ersten Seite an. Der leichte und beschwingte Schreibstil der Autorin nimmt den Leser gekonnt mit auf die Reise und lässt ihn über 25 Jahre hinweg die Familie Alessi begleiten. Der Unbeschwertheit von Robertas Affäre mit Alessandro im Sommer 1984 wird allerdings nicht das gesamte Vierteljahrhundert überdauern. Dafür sorgt neben den zu erwartenden Konflikten unter den drei Schwestern vor allem der einsetzende körperliche Verfall der geliebten Eltern.

Natasa Dragnic wählt für "Immer wieder das Meer" eine interessante Erzähltechnik, die der Leser erst nach geraumer Zeit entschlüsseln wird. Die Haupthandlung wird aus einer neutralen Erzählperspektive über vierzehn Kapitel hinweg geschildert. Konsequent beginnt und beendet Dragnic jedes Kapitel jeweils mit kurzen Abschnitten, die aus der Ich-Perspektive erzählt werden, ohne dass zunächst dabei ersichtlich wird, welche der drei Schwestern hier die Fäden in der Hand hält. Da insbesondere der Beginn eines jeden Kapitels stets kurz auf den Tag der Hochzeit mit Alessandro schwenkt, ist von Anfang an klar, dass eine der drei Schwestern das Rennen machen wird und Alessandro vor den Traualtar ziehen wird. Am Ende eines jeden Kapitels wird ebenfalls ein zeitlicher Schwenk vollführt, in eine Moll-Tonart gewechselt und der Verfall von Mutter und Vater geschildert.

Der Autorin gelingt es, mit großer Leichtigkeit die breite Palette an Gefühlen auf Papier zu bannen. In der Tat findet man nur wenige Romane, in denen Emotionen so zielsicher benannt werden und diese in der Lage sind, die zu erzählende Geschichte eigenständig vor sich herzutragen. Dragnic versetzt den Leser in kürzester Zeit in die Lage, die Gefühlswelten sowohl von Roberta als auch von Lucia oder von Nannina, dem Nesthäkchen, zu inhalieren und jederzeit wechselweise einnehmen zu können. Dabei geben sich aufgrund der verzwickten Gemengelage beständig positive und negative Emotionen die Klinke in die Hand.

Die Sehnsucht nach dem Meer steht sinnbildhaft für die Sehnsucht nach dem elterlichen Zuhause und damit dem Schoß der Familie. Hier werden Parallelen zur Autorin offensichtlich, die zwar in Kroatien und nicht in Italien aufwuchs, jedoch stets eine freie Aussicht aufs Meer für sich reklamierte. Doch fördert der oftmals verklärte Blick auf die glückliche und wohl behütete Kindheit im Laufe der Jahre nicht nur die Sonnenseiten des Lebens zutage. So finden sich auch im Hause Alessi einige ungeklärte Konflikte aus der Vergangenheit, die im Laufe des vorliegenden Buches ausgetragen werden und dafür sorgen, dass "Immer wieder das Meer" zu einem farbenfrohen, abwechslungsreichen und höchst unterhaltsamen Reigen der Gefühle wird und im Frühjahr 2013 sicherlich die Auslagen der Buchläden prägen wird.

Christoph Mahnel
22.04.2013

 
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Das Buch:

Nataša Dragnic: Immer wieder das Meer

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München: DVA 2013
368 S., € 19,99
ISBN: 978-3-421-04582-9

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