Romane

Wenn Fächer und Karten Schicksal spielen

Mit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts steht in Europa eine Periode des Umbruchs an. Während in Frankreich die Revolution stattgefunden hat und sich das Land sortiert, ist in Schweden mit Gustav III. noch ein König an der Macht, der sich massiv gegen den Adel zur Wehr setzen muss. Dabei befinden sich die Feinde sogar in der eigenen Familie. Sein jüngerer Bruder Herzog Karl würde Gustav lieber heute als morgen vom Thron stoßen. Inmitten dieser spannungsgeladenen Gemengelage ziehen zwei Frauen in Stockholm die Fäden der Intrigen. Da wäre zum einen die Baroness Uzanne als Freundin Karls, die sich schon als Mätresse des neuen Königs sieht, und zum anderen Madame Sparv als Anhängerin des Königs, deren Visionen jedoch für Gustav ein schreckliches Ende ahnen lassen.

Madame Sparv betreibt in der Stockholmer Gråmunkegränd einen stark frequentierten Spielsalon. Gemeinsam mit ihr und ihren Karten versucht der königstreue Ich-Erzähler Emil Larsson, seines Zeichens Sekretär des Zoll- und Steueramtes, dahinterzukommen, was und wer nach dem Leben des Königs trachten. Ganz nebenbei ist der Hauptdarsteller des vorliegenden Romans daran interessiert, welche Frau er denn in Kürze zur Braut nehmen wird. Schließlich steuert er auf das Ende seines dritten Lebensjahrzehnts zu und ist noch immer unvermählt, was man bei seinem Arbeitgeber und in der Stockholmer Gesellschaft nur sehr ungern sieht.

Madame Sparv legt für Emil Larsson und König Gustav III. die Karten in einer ganz besonderen Form, dem sogenannten Stockholm Oktavo. Dafür werden an acht verschiedenen Abenden acht Karten für ein ganz besonderes Schema gezogen. Die acht ermittelten Karten haben ihre Entsprechungen in realen Personen aus dem Umfeld von Emil und dem König. Sobald die letzte Karte gelegt ist, beginnen Emil und Madame Sparv ihre Suche und setzen alles daran, in Erfahrung zu bringen, wer denn die relevanten Personen sind und welche Rolle sie für Emil und Gustav spielen werden. Emil wird immer tiefer in den Sog von Macht und Intrigen gezogen. Wird er diesem lebend entrinnen können? Wer die Geschichte kennt, weiß bereits vorab, dass es bei historischer Präzision für Gustav III. kein gutes Ende nehmen sollte.

"Das Stockholm Oktavo" ist das Debüt der US-amerikanischen Schriftstellerin Karen Engelmann, die bereits in ihrer beruflichen Vergangenheit einen starken Bezug zu Schweden hatte, was wohl die Wahl ihres Plots maßgeblich beeinflusst hat. Behutsam führt Engelmann ihre Leser in die Stockholmer Gesellschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts ein.

Sie gibt den verschiedenen Charakteren ausreichend Raum und Zeit und hält nur mit wenigen Informationen hinter dem Berg, so dass sich der Leser ein gutes Bild über die Intrigenlage in Stockholm machen kann. Der vorliegende Roman kommt selbst bei Viellesern gut an, da er sich in keiner Weise als Kopie irgendeines anderen Romans bezeichnen ließe. Engelmann hat mit ihrer handlungsentscheidenden Kombination aus Karten und Fächern etwas völlig Neues thematisiert. Die Besessenheit, mit der Madame Sparv ihre Karten legt und interpretiert, und die Raffinesse, mit der Uzanne ihre jungen Elevinnen in die Verwendung des Fächers einführt, begeistern jeden, der an den Vorgängen hinter den historischen Kulissen interessiert ist.

"Das Stockholm Oktavo" ist ein höchst farbenprächtiger Roman, der im Inneren liebevoll mit den Karten des gelegten Oktavo bebildert ist. Engelmann wählt eine scheinbar merkwürdige Form von Kapiteleinführungen, in denen als Zweitüberschrift die Quellen, sprich die im Kapitel handelnden Personen, vorab benannt werden. Dieser erzähltechnische Kniff erlaubt jedoch zusätzlich zu der überwiegenden Ich-Erzählung Emils noch eine parallele Berichterstattung von Vorgängen, in die der Ich-Erzähler nicht eingebunden ist. Des Weiteren plaziert die Autorin gleich zu Beginn eine kurze, aber hilfreiche Dramatis Personae, was eigentlich für jedes an Charakteren umfänglichere Buch verpflichtend sein sollte.

Leider lässt es "Das Stockholm Oktavo" zu, dass sich beim Leser nicht unbedingt eine erhöhte Dynamik einstellen möchte, aufgrund derer man alles stehen und liegen lassen möchte, nur um das Buch am liebsten noch in derselben Nacht zu Ende zu lesen. Erst in der zweiten Hälfte des Buches, wenn sich dann die Ereignisse zu Beginn des Jahres 1792 zuspitzen, kommt ein wenig Fahrt auf, der man sich nicht gerne widersetzen möchte. Jedoch wird jedem Leser die Reise nach Stockholm ins ausgehende 18. Jahrhundert unvergessen bleiben, da die eindrückliche Schilderung von der Macht der Karten und der Fächer haften bleibt. Dass letztere von der Damenwelt nicht nur ausdrucksstark, sondern auch als Tatwaffe eingesetzt werden können, dürfte den meisten Lesern bis dato nicht im Traum eingefallen sein.

Christoph Mahnel 
18.03.2013

 
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Das Buch:

Karen Engelmann: Das Stockholm Oktavo. Aus dem Amerikanischen von Gaby Wurster

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Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2013
507 S., € 22,99
ISBN: 978-3-455-40389-3

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