Romane

Und die Pforten des Paradieses öffneten sich nicht ...

Hilsenraths Roman beginnt mit einem kurzen, jedoch aussagekräftigen Briefwechsel zwischen dem amerikanischen Generalkonsul und dem Juden Nathan Bronsky aus Halle/Saale, datiert 1938/39, in dem die Bitte um Einwanderungsdevisen der von der Naziverfolgung bedrohten Familie Bronsky wie folgt beantwortet wird: "Übrigens – und das unter uns – ist es den Regierungen aller Länder auf diesem Planeten im Grunde scheißegal, ob sie Euch alle umbringen oder nicht. Das Judenproblem ist ihnen zu lästig, und keiner will wirklich was damit zu tun haben. [...] Wir haben genug von Euch Judenbastards in Amerika. Die überfüllen unsere Universitäten, drängen sich in Spitzenpositionen und werden immer frecher. Schicken Sie mir die Antragsformulare zurück, und warten Sie gefälligst dreizehn Jahre."

In der darauf folgenden "Tagebucheintragung" gibt der Ich-Erzähler, Sohn des Briefeschreibers, zu, den originalen "Wortlaut [...] ein bißchen verändert" zu haben, um "die Wahrheit herauszufinden, die zwischen den Zeilen steht". Es ist das poetische Prinzip der Verfremdung und grotesken Zuspitzung, mit dem der Autor Hilsenrath der unschönen Realität zu Leibe rückt und sie entlarvt: Als die Bronskys schließlich nach 13 Jahren wie angekündigt ihre Einwanderungsdevisen erhalten haben, und 1952 nach Amerika kommen, identifiziert Jakobs Vater spontan die Freiheitsstatue mit dem Generalkonsul, den er mit den zwei einzigen Worten Englisch begrüßt, die er kennt: "Fuck America!"

Knappe, alltagsnahe Dialoge, slapstickartige Situationen, Selbstgespräche und Fantasien variieren dieses Thema, das eigentlich nichts anderes besagt als: "Wenn du kein Geld hast, dann geht's dir dreckig." Und so schlägt sich Jakob Bronsky eher schlecht als recht durch den Dschungel der Großstadt New York, verdingt sich als Kellner, Nachtwärter und Hundeausführer, lässt sich von billigen Nutten bedienen, klaut Eier und Kaffee seines Nachbarn, während er gleichzeitig bis in die frühen Morgenstunden in der "Emigrantencafeteria" an seinem Roman "Der Wichser" arbeitet. Lakonische Begründung für die Wahl dieses Titels, dessen Inhalt immerhin auf Hilsenraths Verarbeitung der Ghetto-Erfahrungen in seinem Debüt "Nacht" anspielt: "Ein einsamer Mann ist immer ein Wichser".

Abgesehen davon passt er aber auch ganz gut zur allgemeinen, sexuell aufgeladenen Atmosphäre, denn unter den heruntergekommenen Juden, die als Ärzte, Rechtsanwälte und Geisteswissenschaftler nach Amerika auswanderten, ist kaum einer, der sich ein "privates Mädchen" leisten kann. Wenn Bronsky ein Kapitel beendet hat, sich vom Schreiben "erschöpft, aber zugleich merkwürdig glücklich und befreit fühlt", ist alles, was zu seinem Glück noch fehlt, eine gute Nummer: "Zu Hause nahm ich eine kalte Dusche. Es nützte nichts. Ich dachte an Auschwitz. Umsonst." "Fuck America" ist ein böses Stück Satire (nicht nur) auf die amerikanische Gesellschaft. in der Geld und (sexuelle) Macht eine unauflösliche Liaison bilden. Bronsky ist selbst Teil dieser Traumfabrik, in der man in einer billigen Kneipe sitzt, während auf der anderen Straßenseite Liz Taylor und Humphrey Bogart von den Plakaten herunterstrahlen: Sein Traum, als Schriftsteller irgendwann die gebührende Anerkennung zu erhalten, findet seine sexuelle Entsprechung in der mehrfach ausgemalten Fantasie, es der Chefsekretärin des größten amerikanischen Verlags mal richtig zu besorgen.

Bisweilen mischen sich auch ruhigere Töne in die vom täglichen Überlebenskampf geprägte, rotzige Sprache Bronskys, als er sich vorstellt, Mary Stone, Amerikas berühmteste Psychologin, steige zu ihm aus dem Fernseher und er erzähle ihr sein Leben. Ungezwungen werden hier Realität und Fiktion aneinandergereiht, so lässt er denjenigen Teil seiner Seele, der mit den ermordeten Juden gestorben ist, in den Körper eines Vierzehnjährigen schlüpfen, um ihm bis in die Gaskammer zu folgen. Der einfache, schlichte Stil dieser Prosaminiatur, der ohne Anklage auskommt, bewirkt, dass die Grausamkeit des Geschehenen umso deutlicher hervortritt. Und obwohl sie Fiktion ist, steht sie für das Anliegen Hilsenraths, hinter der Zahl von sechs Millionen die damit verbundenen sechs Millionen Schicksale zu sehen, jedes in seiner Einmaligkeit.

Hilsenrath würde aber nicht Hilsenrath heißen, würde sein Roman nicht im selben satirischen Tenor enden, in dem er beginn; sein Talent, Tabus zu verletzen, läuft hier sogar noch einmal zu Höchstform auf: Bronsky stellt sich vor, wie er völlig mittellos nach Deutschland zurückkehrt und vom "Generalsekretär für Schuld und Sühne, der aussah wie ein alter Nazi ohne Uniform", weinend empfangen wird. Es werden ihm Kost, Logis und sogar Frauen kostenfrei zur Verfügung gestellt – ein besseres Umfeld könnte sich Bronsky gar nicht wünschen, um endlich seinen Roman "Der Wichser" zu Ende zu bringen ...

Nicole Stöcker
01.06.2005

 
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Das Buch:

Edgar Hilsenrath: Fuck America. Bronskys Geständnis

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München: dtv 2005
287 S., € 9,50
ISBN: 3-423-13298-1

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