Romane
"Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang" - Rainer Maria Rilke
Der US-amerikanische Autor Michael Cunningham ist kein Mann der vielen Worte. Und doch gelingt es ihm mit seinen Geschichten immer wieder aufs Neue, den Leser f?r sich einzunehmen. "In die Nacht hinein" hei?t sein inzwischen siebter Roman, der trotz seiner leisen T?ne f?r aufregende Lekt?restunden sorgt. Schuld daran tragen in erster Linie eine hochemotionale Geschichte, die in einer Trag?die zu enden droht, und Cunninghams Verm?gen, das Seelenleben seiner Protagonisten detailgenau vor den Leser auszubreiten.
Peter und Rebecca Harris f?hren eine Vorzeigeehe, die durch nichts und niemand zerr?ttet werden kann. Er ist ein erfolgreicher Galerist f?r moderne Kunst, sie die Herausgeberin einer Zeitschrift - und gemeinsam scheinen sie unschlagbar zu sein. Doch wie so oft tr?gt auch hier der Schein, denn Peter f?hlt nun schon seit l?ngerer Zeit eine Leere in sich, die auch seine geliebte Ehefrau nicht auszuf?llen vermag. Dabei hat der Mittvierziger keinen Grund zur Klage: Sie sind wohlhabend, Tochter Bea steht l?ngst auf eigenen F??en und die Freunde wissen ihre Gesellschaft stets zu sch?tzen. Und doch macht sich bei dem Paar Frust breit, der erst aufrei?t, als Rebeccas wesentlich j?ngerer Bruder Ethan zu Besuch kommt.
In der Familie gilt "Missy", ein Kosewort f?r "das Missgeschick", als Paradiesvogel, der mit seinem Lebensstil an alte Traditionen st??t. Nicht nur, dass 20 Jahre zwischen Rebecca und ihm liegen, er ist zudem den Drogen mehr als zugeneigt und seine Homosexualit?t sorgt f?r explosiven Diskussionsstoff. Dementsprechend ist bei Familie Harris fortan (Gef?hls-)Chaos ein allmorgendliches Bild, dem sich jeder von ihnen ausgesetzt sieht - zumal Peter mitten hinein in eine Midlife-Crisis schlittert und der Wunsch nach seinem j?ngeren Ich immer gr??er wird, w?hrend er selbst mit jeden Tag immer ?lter wird.
Dass mit Missys Auftauchen in Peter der Wunsch nach einer Neuorientierung erwacht, ist kaum erstaunlich. W?hrend sein Schwager in der Bl?te seines Lebens steht und weder an althergebrachte Konventionen noch an gesellschaftliche Regeln gebunden ist, muss er sich mit einem Leben arrangieren, von dem er kaum mehr Neues erwartet. In Anblick von Missys Sch?nheit werden f?r Peter Fragen laut, ob Arbeit und Karriere, Sexualit?t und Ehe seinen Wert bestimmen - und wie er sich als Vater behauptet hat. Allesamt Fragen, die ihm ein neues Leben er?ffnen k?nnten. Peter muss nur zugreifen ...
Michael Cunninghams Roman "In die Nacht hinein" ist ein Buch von unvergleichlicher Sch?nheit, die mit einem unverg?nglichen Glanz behaftet ist und daher jeden Leser gefangen nimmt. Atmosph?risch dicht und mit dem K?nnen eines Wortk?nstlers wirft der US-amerikanische Autor auf 320 Buchseiten einen tiefen Blick in eine (verwirrte) Seele und zeichnet diese ?u?erst lebendig mit seinen Worten nach. Mit diesem Werk gelingt Cunningham eine ausdrucksstarke, faszinierende Charakterstudie, die wie ein Knall in einer stillen Nacht wirkt und aus diesem Grunde so manchen auch aufr?tteln wird.
Susann Fleischer
14.02.2011