Romane

Nur die Ruhe gibts hier nicht

Nachdem bereits ihre Kolumnen beim S. Fischer Verlag erschienen sind, legt Sarah Kuttner mit "Mängelexemplar" ihren ersten Roman vor. Er erzählt die Geschichte einer Depression; genauer: Die Geschichte von Karo, einer dynamischen und überdrehten Endzwanzigerin, die abhängig von der schnellen Daseinsform der Großstadt ist. Als sich jedoch ungewollt ein paar Dinge in ihrem Leben ändern, hat Karo auf einmal sehr viel Zeit. Zu viel Zeit und das macht sie nervös. Die Unruhe steigert sich und die Symptome sind anders als sonst: Herzrasen, Schweißausbrüche und Angst. Schließlich landet sie mit einer Panikattacke in der Notaufnahme.

Was bisher geschah: Karo ist anstrengend. Das behauptet sie jedenfalls selbst über sich. Erschwerend hinzu kommen ihr frisch verlorener, toller Job in einer Event-Management-Agentur und ihre Beziehung zu Philipp, die langsam dahinschimmelt. Mehr aus Neugierde als aus Not und weil sie aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit eben Zeit hat, beginnt Karo eine Psychotherapie. Schnell bemerkt sie, dass da vielleicht doch ein paar Probleme sind, die ihr früher nicht bewusst waren, die dafür aber umso schwerer wiegen. Eine dumpfe Traurigkeit, für die Karos Freund Philipp kein Verständnis hat und gegen die sie selbst machtlos ist, breitet sich aus. 

Als die Trennung von ihrem Freund letztlich und vielleicht unfreiwillig vollbracht ist, gerät Karos Welt aus den Fugen. Anstelle von Liebeskummer bekommt sie eine Depression und Angstzustände. Nach einer nicht enden wollenden Panikattacke kommt sie endlich in die psychologischen Notaufnahme. Es wird deutlich, dass ihr momentan die Teilnahme am "richtigen Leben" unmöglich ist, denn zurzeit feiert ihr Seelenleben seinen großen Auftritt.

Mit viel Witz und Selbstironie lässt Sarah Kuttner Karo von ihrer langsamen Regeneration erzählen: Vom Wiedereinzug in Mamas Wohnung und der sukzessiven Heimkehr in die eigenen vier Wände. Von einer Liebschaft, um über Philipp hinwegzukommen. Vom autogenen Training und von den Versuchen, sich selbst zu spüren. Von der Rückkehr ins Berufsleben und einer neuen Liebe. Und schließlich vom Wiederauftauchen der Panikattacken. Am Ende wird Karo klar, dass die Krankheit ein Teil von ihr ist, der sie noch eine ganze Weile begleiten wird und den sie akzeptieren sollte.

Wie schon die ehemalige VJane Charlotte Roche im Vorjahr, so befasst sich auch Sarah Kuttner in ihrem Romandebüt mit einem gesellschaftlichen Tabu-Thema. Bei Roche ist es die weibliche Intimzone, bei Kuttner die Depression. Über die zeitweilige Schwere des Seins schreibt sie in "Mängelexemplar" mit so einer Leichtigkeit, dass dieses eigentlich drückende Thema den Leser amüsant unterhält. Dabei ist Kuttner nicht weit entfernt von den Freche-Frauen-Romanen, auf die ihre Protagonistin Karo keine Lust mehr hat. Doch ein solches Buch war längst fällig. Denn am Ende sind wir fast bereit zu glauben: "Eine Depression ist ein fucking Event!"

Jennifer Mettenborg
04.01.2010

 
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Das Buch:

Sarah Kuttner: Mängelexemplar

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Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2009
272 S., € 14,95
ISBN: 978-3-10-042205-7

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