Romane

Der etwas andere "American Way of Life"

Yale, New York, Wall Street, die mächtigste Anwaltskanzlei der Welt, der größte Pentagon-Auftrag aller Zeiten: In John Grishams neuem Roman "Der Anwalt" bewegt sich erneut alles im Feld der Superlative. Leider ist es auch die beste Spionagefirma, die den Junganwalt Kyle McAvoy zu einer Mitarbeit als Spion erpresst. Aufgrund der ganzen Größen und großen Profis läuft die Geschichte, angelehnt an das Bibelzitat und den Film mit James Dean, unter dem abgeänderten Motto "Denn sie wissen, was sie tun".

Dagegen trifft leider der ursprüngliche Titel auf den erst 25-jährigen Kyle, der kurz vor dem College-Abschluss in Yale steht, eher zu. Zwar wird er als ausgezeichneter Jurist mit Angeboten von allen renommierten Kanzleien überhäuft, doch er glaubt nicht an Geld und Macht, sondern an Ideale und Moral und will sich nach seinem Studium im sozialen Bereich engagieren. Bis ihn eine Geschichte aus seiner Vergangenheit einholt. Eine Geschichte, bei der das Wort "Vergewaltigung" im Raum steht. Zunächst weiß der Leser nicht, inwiefern Kyle involviert ist. Dass der Protagonist ein Vergewaltiger ist, erscheint doch recht ungewöhnlich. Doch allein die Unklarheit darüber, welche Rolle er bei einer mutmaßlichen Vergewaltigung gespielt hat, macht es dem Leser zunächst unmöglich, mit dem Studenten zu sympathisieren.

Eine junge Frau behauptet, vor fünf Jahren in Kyles Studentenwohnung, vergewaltigt worden zu sein. Aufgrund von Mangel an Beweisen und Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mädchens wird jedoch keine Anklage erhoben. Doch nun ist ein Video aufgetaucht, das den Fall noch mal ins Rollen bringen und damit Kyles vielversprechende Zukunft zerstören könnte. Leider haben die falschen Leute das Video in der Hand: Eine undurchsichtige Organisation, die nun mit der Veröffentlichung des Videos droht und Kyle zwingt, als Anwalt bei "Scully & Pershing", der weltweit größten Kanzlei mit Sitz an der Wall Street, anzufangen. Seine Aufgabe: Firmengeheimnisse zu dem Fall zu beschaffen, in dem es um den größten je da gewesenen Pentagon-Auftrag geht.

Auf Schritt und Tritt beschattet, in der eigenen Wohnung gefilmt, verwanzte Telefone und überwachte Computer - Kyle ist in einem Alptraum gefangen. Zudem wird ihm schnell klar, dass er nicht der einzige Maulwurf in der Kanzlei ist. Bevor der Anwalt seinen Auftraggeber Informationen überbringt, erhält er durch seinen Mittelsmann interne Informationen über die Kanzlei, ihre Fälle und Mandanten, ihre Anwälte und Partner.

John Grisham ist wieder in alter Form zurück. Obwohl es erst, wenn überhaupt, zum Ende hin zur Sache geht, ist "Der Anwalt" so fesselnd geschrieben, dass er trotz der über 400 Seiten so gut wie keine Längen hat. Manchmal hat man allerdings fast vergessen, was die eigentliche Haupthandlung ist. So passt es zu dem etwas ungewöhnlichen Aufbau, dass der Ausgang der Geschichte nicht gerade typisch ist und vieles offen lässt. Interessant sind die Einblicke, die Leser in das Leben eines Anwalts einer Großkanzlei erhält, das am Anfang nichts mit spektakulären Gerichtsverhandlungen zu tun hat, dafür aber sehr viel mit stumpfsinnigen Aktenwälzen und unendlicher Müdigkeit. Ein intelligenter, spannender und amerikanischer Roman, den man nur schwer aus der Hand legen kann.

Jennifer Mettenborg
19.10.2009

 
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Das Buch:

John Grisham: Der Anwalt. Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya u. a.

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München: Heyne Verlag 2009
448 S., € 21,95
ISBN: 978-3-453-26615-5

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