Romane

Der , den sie Zauberhand nannten

In "Wenn Ruhm und Ehre nichts mehr zählen" erzählt der Autor eine spannende, kurzweilige Geschichte von interkulturellen Begegnungen, von der Freundschaft als Kernpunkt einer gesunden Sozietät und über die Wichtigkeit der ethischen Grundsätze, die heutzutage, hoffentlich nur vorrübergehend, in leichte Vergessenheit zu geraten scheinen.

Die Handlung spielt im 18. Jahrhundert zunächst im feudalen China. Geschildert werden die Abenteuer von Li Ning, seines Zeichens ein Shaolin-Mönch und Kung-Fu Meister, der es bereits in seinen jungen Jahren zu einer landesweiten Berühmtheit gebracht hat, indem er diese Kampftechnik nicht nur wie kein zweiter beherrscht, sondern sie weiterentwickelt und perfektioniert.

Der harmonische Alltag im Kloster, geprägt von geistiger und vor allem körperlicher Ertüchtigung, wird jäh unterbrochen, als weltliche Begebenheiten in sein Leben Einzug erhalten. Die Ereignisse überschlagen sich, die Erfahrungen von Hass und Niedertracht, aber auch von Liebe und von der sozialen Verantwortung wirken auf Li Ning wie eine zweite Geburt: Der Mensch reift mit neuen Herausforderungen. Er rettet die Schwachen von ihren Peinigern, er wird Vater, obwohl er ein Mönch ist, und er entscheidet sich für das Leben im Kloster, obwohl er die Liebe zu einem Mädchen im Herzen trägt.

Durch Rachsucht mächtiger, böser Männer getrieben, flüchtet er mit seinem Sohn Jü Li nach Amerika, inmitten der großen Kolonialwelle, um sich den Traum von einem friedvollen und glücklichen Leben zu erfüllen. Er bemerkt aber recht schnell, dass die "Neue Welt" nur für die Weißen ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Für die Menschen anderer Hautfarbe, insbesondere für die Eingeborenen, ist Amerika eher ein Land der schrumpfenden Möglichkeiten. Auch für die Gemeinschaft der Dakota Indianer, in die Li Ning unter dem Namen Zauberhand aufgenommen wird, ist der Überlebenskampf allgegenwärtig. Bekanntlich wird aber erst das Nutzenkalkül der Einwanderer das Ende der Kultur dieses Naturvolkes besiegeln.

Die Erzählung von Karl-Heinz Jonas ist nicht darauf ausgelegt, den Spannungsbogen langsam aufzubauen und in einem finalen Höhepunkt alle offenen Fragen abschließend zu klären. Vielmehr liegt die faszinierende Stärke dieses Romans in der Leichtigkeit der Beschreibung einer Fülle von Ereignissen: Es sind die abrupten Veränderungen der emotionalen Zustände der Protagonisten, von der Verzweiflung, über die Hoffnung bis zur temporären Erlösung, die dem Leser keine Verschnaufpause gönnen und ihn fesseln.

Die Idee, dass ein Chinese nach Amerika kommt und sich behaupten muss, ist nicht neu und wurde in verschiedenen Werken thematisiert. "Wenn Ruhm und Ehre nichts mehr zählen" ist jedoch ein Roman, der mit dem Slapstick oder Klamauk eines seichten Unterhalters wie z.B. Jackie Chan keine Berührpunkte hat. Die zentralen Elemente der Erzählung sind der Respekt vor dem Lebendigen, vor der Natur, dann die Verantwortung des Individuums in der Einschätzung der Konsequenzen seiner Taten und schließlich die Realisierung des Familienglücks.

Aus der Begegnung der chinesischen mit der indianischen Kultur schnitzt der Autor einige Höhepunkte und hält der "Kultur" der weißen Einwanderer mit einfachsten Mitteln den Spiegel vor. Betrachten wir die Dialoge des Buches: Die jeweiligen Aussagen sind grundsätzlich bis zum Schluss ausformuliert und werden von den Gesprächspartnern umfassend reflektiert. Wir Europäer sind dagegen nicht nur Experten im Nicht-Zuhören – wir fallen unserem Gegenüber stets gekonnt ins Wort, ohne wirklich wahrgenommen zu haben, was uns da soeben mitgeteilt wurde.

Bescheidenheit und Besonnenheit sowie ein Leben im Einklang mit der Natur, und damit ist auch die Natur des Menschen gemeint, sind die Ideale, die uns der Autor durch die Charaktere vermittelt. Sind die "Wilden" diejenigen, die in der Wildnis leben und keinen Fußabstreifer vor dem Wigwam platziert haben, oder doch diejenigen, die die Büffel aus Profitsucht und Langeweile fast ausgerottet haben und prunkvolle Betonklötze als Symbole des Fortschritts und des Wohlstandes errichtet haben? Ist eine vollständige Distanzierung von der Natur nicht ebenso ein Anzeichen der Verwilderung? Das Zeichen einer traurigen Verrohung infolge des Sittenverlustes?

Karl-Heinz Jonas hat mit "Wenn Ruhm und Ehre nichts mehr zählen" den Prolog geschrieben. Li Ning ist am Ende des Bandes auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, aber erst am Anfang seiner geistigen Auseinandersetzung mit den fremden Kulturen. Es wäre sehr wünschenswert und gleichermaßen lehrreich, bald wieder von der "Zauberhand" und neuen Abenteuern unter der Präriesonne zu lesen.

Pavle Veraja
27.04.2009

 
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Das Buch:

Karl-Heinz Jonas: Wenn Ruhm und Ehre nichts mehr zählen

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2009
259 S., € 14,90
ISBN: 978-3-837-20276-2

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