Romane

Freundschaft in Krisenzeiten

Leningrad im Winter 1941/42: Die Heeresgruppe Nord der deutschen Wehrmacht hat die Stadt fast vollständig eingekreist. Alle Versorgungslinien wurden unterbrochen, um die Einwohner dieser Millionenstadt auszuhungern. Die Lebensmittel wurden rationiert und teilweise mit organischen Ersatzstoffen wie Zellulose gestreckt. Doch ist diese Zeit gleichfalls geprägt durch engen Zusammenhalt und Freundschaften, wie die zwischen den grundverschiedenen Jungen Lew und Kolja in David Benioffs Roman "Stadt der Diebe".

Der 17-jährige Lew lebt mit seinen Freunden in Leningrad. Seine Mutter und jüngere Schwester sind vor dem Tod und in der Hoffnung auf Nahrung geflüchtet. Es ist Abend, als Lew mit seinen Freunden auf dem Dach ist und ein deutscher Soldat nach einem Luftangriff tot in seinem Fallschirm auf die Stadt zu schwebt. Da alle Hunger verspüren, machen sie sich trotz nächtlichen Ausgehverbots auf, den Mann nach Essbarem zu durchsuchen. Allerdings wird bei dieser Aktion Lew gefangen genommen und in das Gefängnis gebracht. Dort lernt er den Deserteur Kolja kennen. Beide werden zum Chef des NKWD (aus dem später der russische Geheimdienst KGB hervorgeht) gebracht. Sie sollen für die Hochzeit seiner Tochter ein Dutzend Eier besorgen. Schließlich soll es auch eine Torte geben und in der ganzen Stadt sind keine Eier zu bekommen. Sie haben für diese Mission nur sechs Tage zur Verfügung. Also müssen sie sich notgedrungen zusammentun.

Zuerst versuchen sie es auf dem Schwarzmarkt der Stadt. Dort bekommt man schließlich alles, wenn man nur genügend Geld dabei hat. Doch sind ihre Bemühungen vergebens. Nach einigen weiteren erfolglosen Versuchen in der Stadt (ein freundlicher Mann stellt sich als Kannibale heraus und ein vermeintliches Huhn ist in Wirklichkeit ein Hahn) wollen sie zu einer Geflügelfarm in Mga. Auf dem Weg dahin kommen sie an einem ausgebrannten Dorf vorbei, einzig ein Häuschen steht noch dort. In diesem halten sich vier junge Mädchen auf, die sich als „Bettgespielinnen“ deutscher Wehrmachtsoffiziere herausstellen. Lew und Kolja wollen ihnen aus ihrer Misere helfen. Doch bevor sie auch nur einen Deutschen töten können, greifen Partisanen in das Geschehen ein. Sie nehmen Lew und Kolja vorerst bei sich auf. Doch müssen nach wie vor die Eier besorgt werden! Die beiden Jungen und die junge, wilde Partisanin Vika schließen sich Gefangenen der Wehrmacht an, um den Oberbefehlshaber der Einsatzgruppe A (ein Sondereinsatzkommando der Deutschen) zu töten.

David Benioff zeigt mit diesem Roman, worauf es in Krisenzeiten ankommt: Menschen, auf die man sich voll und ganz verlassen kann. Aus dem introvertierten, schüchternen und realistischen Jungen Lew, dessen Vater einst vom NKWD beseitigt worden ist, und dem sexbesessenen, vorlauten Kolja entsteht ein festes Band der Freundschaft. Dabei stellt sich heraus, dass nicht immer alles so ist, wie es erscheint. So erweist sich Kolja als ein Mensch, in dem literarische Qualitäten versteckt sind – er möchte den großen russischen Roman schreiben. Während anfangs Kolja Lew überragt, wird der Jüngere auf dieser Reise erwachsener und beweist Mut. Das Buch zeigt, dass sich ein Mensch innerhalb kürzester Zeit verwandeln kann, ohne sich dabei selbst zu verlieren.

Susann Fleischer
09.02.2009

 
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Das Buch:

David Benioff: Stadt der Diebe. Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner

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München: Karl Blessing Verlag 2009
384 S., € 19,95
ISBN: 978-3-89667-394-7

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