Romane
Historischer Roman mit aktuellem Bezug
"Staub fegte über die knochentrockene Ebene wie ein Blatt Papier, das sich kräuselnd von der Haut der Erde löst. Ein einsamer Wanderer tauchte auf." So die ersten beiden Sätze aus Jamal Mahjoubs Romans, der mit dem Zusammentreffen zweier Männer beginnt, die die Geschichte eines Landes, das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierte, dem Sudan, entscheidend veränderen sollten. ‘Abdullahi Muhammad al-Ta’ishi traf während einer Pilgerreise im Gebiet des heutigen Sudan auf Muhammad Ahmad Abdallah, den Sohn eines Boots- und Wasserradbauers, der zum Sufi-Scheich aufgestiegen war. ‘Abdullahi Muhammad al-Ta’ishi glaubte in Muhammad Ahmad Abdallah den Mahdi, den durch Gott Rechtgeleiteten, der in der muslimischen Gemeinschaft vor dem jüngsten Gericht das Recht wiederherstellt und sie bis zum Anbruch der Endzeit führt, zu erkennen. Muhammad Ahmad Abdallah selbst begann sich einige Zeit später als der Mahdi zu bezeichnen und erhob sich gegen die türkisch-ägyptische Oberherrschaft im Sudan. Die Mahdi-Revolution nahm ihren Lauf.
Vor dem Hintergrund dieser Revolution erzählt der Autor in verschiedenen Erzählsträngen die Geschichten unterschiedlicher Personen, die alle auf die eine oder andere Weise in die Geschehnisse im Sudan zwischen 1881, dem prinzipiellen Beginn der Revolution, und 1898, dem endgültigen Scheitern der Revolution durch die britisch-ägyptische Invasion, verwickelt sind. Bei diesen Personen handelt es sich sowohl um frei erfundene Menschen wie auch um solche, die wirklich gelebt haben. Allerdings bilden die frei erfundenen, meist einfachen Menschen den Hauptbestandteil der Erzählungen. Darunter sind u.a einige der treuesten Gefolgsleute des Mahdis, ein britischer Nachrichtenoffizier, türkisch-ägyptische Soldaten, ein Geistlicher, eine Prostituierte und ein Armeekoch. Alle diese Personen treffen im Verlaufe der Revolution immer wieder aufeinander, sind Verbündete und Gegenspieler und manchmal auch beides. Alle versuchen, sich in diesen Zeiten zu behaupten oder auch nur zu überleben. Viele müssen feststellen, dass das Leben doch ganz anders kommt als erwartet. Nicht wenige werden durch die Ereignisse im Sudan verändert werden.
Durch diese Erzählstruktur gelingt es Mahjoub, die Mahdi-Revolution sowohl aus Sicht der Revolutionäre, aus Sicht ihrer Widersacher sowie aus Sicht unschuldig in den Konflikt verwickelter Menschen umfassend darzustellen. Gleichzeitig zeichnet der Autor ein lebendiges Bild des Sudan während der Zeit der Revolution. Dabei thematisiert er Bereiche wie Politik, Macht, Religion, Aberglaube und Fundamentalismus und bringt sie gekonnt miteinander in Verbindung. So zeigt der Autor, dass religiöser Fundamentalismus, und damit hat das Buch einen Bezug zu aktuellen politischen Debatten, nie für sich alleine gesehen werden darf, sondern immer in Zusammenhang mit sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen steht. Dies wird in Mahjoubs Roman sehr genau an der Person des Mahdi deutlich, der im übrigen im Sudan bis heute sowohl als religiöser Erneuerer als auch als politischer Gründer der modernen Republik gesehen wird, wie auch an seinem treusten Gefolgsmann und Nachfolger, ‘Abdullahi Muhammad al-Ta’ishi, aber auch an anderen Anhängern des Mahdis.
Mahjoubs Roman ist spannend und mitreißend geschrieben und fesselt bis zur letzten Seite. Der Leser fühlt sich schon fast in die Handlung hinein gesogen. Dies ist besonders der ausdrucksstarken Sprache des Autors zu verdanken. Zudem ist das Buch thematisch sehr gut recherchiert und bietet so neben dem Lesevergnügen ganz nebenbei einen gelungen Überblick über die historischen Ereignisse im Sudan zwischen 1881 und 1898 ohne dabei zu moralisieren. Kurz gesagt: ein durchweg gelungenes Werk.
Robert Korntheuer
17.11.2008