Romane

Meine Mütter - oder: Die Frauen mit den roten und den schwarzen Kleidern

Gabriele Bönisch ist eine erfolgreiche Anwältin mit eigener Kanzlei, hat ihr Leben eigentlich im Griff. Die Tatsache jedoch, dass sie im Grunde genommen mehrere Mütter hat und eine Vergangenheit besitzt, die zwar nicht durch und durch schlecht ist, aber doch zumindest sehr ungewöhnlich und nachhaltig prägend ist, macht ihr in genau dem Moment zu schaffen, als eine ihrer Mütter stirbt, nämlich die Frau in Rot.

Und damit steigt Gabriele Bönisch dann auch in den Roman ein. Sofort fesselt sie den Leser mit aktiven Rückblenden, zeigt, was für ein Leben sie geführt hat, führen musste und wie sie aus diesem hervorging. Parallel dazu schwenkt sie immer wieder zurück in die Gegenwart und zeigt dem Leser, wie sie damit umgeht. Die Frau in Rot ist ihre leibliche Mutter. Als Kind ist diese Frau ihr Vorbild. Gabriele verehrt sie, liebt sie. Doch aus Verlassensangst klammert sie auch, sucht permanent die Nähe zu ihr. Die Frau in Rot liebt ihren Zögling, will ihn behüten und ihm eine gute Mutter sein. Dass sie dafür ihr Leben hinten anstellen muss, begreift sie recht bald und es fällt ihr zunehmend schwerer. Gabriele stört die Beziehung zu dem Mann mit dem Persianerschiffchen, in den die Frau in Rot verliebt ist, mit dem sie leben will und der ihr Leben ebenfalls mit ihr teilen will, doch nicht mit Gabriele. Denn er spürt, dass dieses kleine Kind in Konkurrenz zu ihm steht. Er mag es, aber er versucht es von der Frau in Rot fern zuhalten, um selber zum Zuge zu kommen. Die Frau in Rot muss eine Entscheidung treffen, die ihr sehr schwer fällt und die sie trotzdem zu ihren Gunsten ausfallen lässt. Gabriele kommt in ein Kloster, wo sie alles gelehrt wird, was sie zum Leben braucht. Sie kommt zu den neuen Müttern, den Frauen in den schwarzen Kleidern.

Gabriele lebt fortan im streng gläubig geführten Kloster unter vielen Nonnen, die sie nicht wie eine Mutter lieben, ihr aber angedeihen lassen, was ein Kind zum Großwerden braucht. Doch es ist auch hart das Leben, wo sechsjährige Mädchen nicht wie kleine Kinder behandelt werden, sondern wie angehende Erwachsene. Warme Mahlzeiten, Orientierung, Glaube, Ordnung, Regelmäßigkeit, Pflichtgefühl und nebenher Schulisches, aber kaum wirklich Menschliches. Und doch fühlt sich Gabriele dort wohl, lebt sich ein und arrangiert sich, froh, überhaupt irgendwo sein zu können, wo man sich um sie kümmert. Sie vermisst die Frau in Rot sehr, denn sie kommt nur selten zu Besuch. Und wann immer sie kommt, vereinnahmt Gabriele sie, was dazu führt, dass diese Besuche immer seltener werden. Die Frauen in Schwarz werden also ihre neuen Mütter. Gabriele wird älter, erfährt im Kloster schöne und traurige Dinge, fühlt sich wohl und sehnt sich doch auch nach ihrer alten kleinen Familie. Wenig wirkliche Liebe wird ihr zuteil und sie will es besser machen als die Frau in Rot. Sie will es allen zeigen, dass aus ihr etwas werden kann, dass sie mehr Verantwortung übernimmt als der Mann mit dem Persianerschiffchen, der sich die Frau in Rot auf seine Art gefügig gemacht hat. Er kann nicht ohne sie, aber auch nicht mit ihr, geht fremd, akzeptiert ihr Kind nicht und weiß doch, dass er tun und lassen kann, was er will, die Frau in Rot bleibt bei ihm, liebt ihn, ist ihm hörig auf ihre Art. All das will Gabriele für sich und ihr Leben anders.

Sie studiert, wird Anwältin, lebt ihr Leben und hat nur selten Kontakt zur Frau in Rot und auch nicht mehr zu den Frauen in Schwarz. Sie erinnert sich gern und auch wieder nicht. Sie vermisst die Klostermauern und wieder nicht. Sie liebt die Frau in Rot und auch wieder nicht. Eines Tages erfährt sie, dass die Frau in Rot verstorben ist. Mechanisch räumt sie deren Wohnung leer, kümmert sich um Formalitäten, arrangiert alles, denn schließlich ist sie ja irgendwie ihre Tochter, ihre Hinterbliebene. Und so wird Gabriele Bönisch konfrontiert mit ihrer Vergangenheit, dem Mann mit dem Persianerschiffchen, mit ihren vielen Müttern. So sehr, wie sie versucht, alles an sich abprallen zu lassen, so sehr sehnt sie sich nach endgültigem Abschluss. Noch einmal alles Revue passieren lassen, noch einmal die Vergangenheit aufarbeiten. Welchen Einfluss hat alles auf ihr Leben genommen. Abschließen und Ruhe finden. Das will sie und so stellt sie sich ihrer Vergangenheit und reist für drei Monate in das Kloster zurück. Sie sucht und findet, sie hinterfragt und versteht, sie versöhnt sich mit der Frau in Rot und erkennt, dass diese nicht anders handeln konnte, als ihren Schützling abzugeben, um selber existieren zu können. Gabriele weiß nun, dass die Frau in Rot sie wirklich geliebt hat, aber ihre Entscheidungen treffen musste und doch wollte, dass sie gut versorgt sein wird. Strenge und Orientierung lernt. Die Schule besuchen kann und gewappnet wird für das Leben da draußen, welches Gabriele einmal besser führen soll, als es die Frau in Rot tat. Das erkennt Gabriele im Laufe der Zeit. Ebenso lernt sie das Leben aus der Sicht des Mannes mit dem Persianerschiffchen verstehen. Sie blickt hinter die Fassade. Jetzt als erwachsene Frau kann sie die Dinge ein- und zuordnen und nachvollziehen, und plötzlich erscheint er ihr nicht mehr als Unmensch. Und so muss Gabriele Bönisch auch lernen, ihr derzeitiges Leben neu einzuordnen. Was will sie eigentlich? Noch immer kinderlos und ohne Mann. Als sie das Kloster wieder verlässt, hat sie mit ihrer Vergangenheit aufgeräumt und fühlt sich auch so, und plötzlich geht alles wie von selbst und findet sich.

Tanja Küsters
20.10.2008

 
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Das Buch:

Gabriele Bönisch: Die Frauen mit den roten und den schwarzen Kleidern

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Frankfurt: Frankfurter Literaturverlag 2008
212 S., € 11,40
ISBN: 978-3-837-20182-6

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