Romane

Warum schlägst du , Raschid?

Mit "Tausend strahlende Sonnen" ist Khaled Hosseini auch mit seinem zweiten Werk ein Millionenseller gelungen. Hosseini selbst ist in Afghanistan mit den Privilegien als Sohn eines Mitarbeiters des afghanischen Außenministeriums aufgewachsen und via Paris im Alter von vierzehn Jahren in die USA migriert. In seinen beiden bisherigen Büchern zeigt er dem Leser auf schockierende Art und Weise die turbulente Geschichte Afghanistans der letzten dreißig Jahre auf. Diese Rahmenhandlung beinhaltet sowohl den Einmarsch der Sowjets, den langwierigen Bürgerkrieg nach dem Abzug der Sowjets als auch die grausame und frauenverachtende Herrschaft der Taliban.

Nachdem in "Drachenläufer" eine Jungen- bzw. Männerfreundschaft im Mittelpunkt der Geschichte stand, ist es dieses Mal eine innige Freundschaft zweier Frauen aus verschiedenen Generationen mit knapp zwanzig Jahren Altersunterschied, die jedoch dasselbe schreckliche Los als Ehefrauen eines gewalttätigen Ehemanns teilen, der die Privilegien des Mannes in Afghanistan genießt und für sich schamlos ausnutzt.

"Tausend strahlende Sonnen" ist eines dieser Bücher, das man als Leser beginnt und nach wenigen Absätzen bereits weiß, dass es einen bis zum Ende fesseln und nicht mehr loslassen wird. Für westliche Wohlstandsbürger geschieht in dieser Geschichte nämlich soviel unvorstellbar Schreckliches, welches für ständiges und ungläubiges Kopfschütteln beim Leser sorgt. Doch wird dieses Leid von Hosseini so plausibel geschildert, dass die Geschichte gleichzeitig als absolut glaubwürdig daherkommt und sämtliche Gräueltaten vom Leser als realistisch empfunden werden.

Die "Harami" (d.h. unehelich geborene) Mariam erfährt bereits in ihrer Kindheit die ungerechte Behandlung ihrer Mutter und ihrer selbst gegenüber ihren ehelich geborenen und damit anerkannten Geschwistern. Sie wird im Alter von fünfzehn Jahren mit dem dreißig Jahre älteren Schuhmacher Raschid zwangsverheiratet. Mit der Zeit lernt sie jedoch mit der Ungerechtigkeit des Lebens und ihrem Unglück als Frau in Afghanistan umzugehen, wohlwissend, dass "wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden wird".

So muss Mariam mitansehen, wie nach fast zwanzig Jahren Schreckensehe Raschid die vierzehnjährige Leila als Zweitfrau heiratet. Nach anfänglichen Abneigungen der beiden "Rivalinnen" entsteht eine intensive Frauenfreundschaft, quasi ein Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen den beiden, das sie sogar einige glückliche Momente in schrecklichen Zeiten unter teilweise brutalen Bedingungen erleben lässt.

Was ist von Khaled Hosseini, diesem großartigen Erzähler, nach seinen beiden erfolgreichen Erstlingen noch zu erwarten? Für sein hoffentlich eines Tages erscheinendes drittes Buch auf jeden Fall ein neuer Plot, nachdem "Drachenläufer" und "Tausend strahlende Sonnen" schon sehr viele Parallelen aufweisen. Nichtsdestotrotz hatte dieser Plot zwei solch exzellente Bücher gut und gerne vertragen können!

Hosseini hat seinen Lesern viele Einblicke in die afghanische Geschichte ermöglicht, die verschiedenen Volksgruppen nahegebracht, und gezeigt, wer sich wann mit wem bekriegt oder wieder vertragen hat. Vor allem aber hat er deutlich gemacht, wieviel Leid und Krieg in Afghanistan in ein bis zwei Menschengenerationen hineinpassen konnten.

"Tausend strahlende Sonnen" ist ein Buch, das ob seiner Traurigkeit dem Leser sicherlich länger im Gedächtnis bleiben wird als viele, viele andere Bücher, die mit Spannung oder Happy End den Leser zu fesseln bzw. begeistern versuchen. Und dabei ist diese Traurigkeit kein Stilmittel Hosseinis, sondern die bloße, traurige Realität.

Christoph Mahnel
28.07.2008

 
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Das Buch:

Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen. Aus dem Amerikanischen von Michael Windgassen

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Berlin: Bloomsbury 2007
381 S., € 22,00
ISBN: 978-3-8270-0671-4

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