Romane

Eine Lektüre, die noch lange Zeit später im Herzen und im Kopf nachhallt

Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten - genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten.

Der Knochenfund bringt in Dunkelblum eine Gräueltat der NS-Zeit ans Licht. Im März 1945 wurden über hundert jüdische Zwangsarbeiter getötet und in ein Massengrab geworfen. Doch geht es nicht um die kriminalistische Klärung der Sachverhalte, sondern durch die Verdichtung ins fiktive 'Dunkelblum' eröffnet sich die Möglichkeit, grundsätzlichere menschliche Verwerfungen (z.B. Konflikte um das Verdrängen und Bekämpfen von Versuchen eines angemessenen Gedenkens) zu schildern. All das ausgelöst durch einen Amerikaner. Er hofft nach dem Ende des Kalten Krieges endlich auf Aufklärung zum Schicksal seiner Angehörigen. Er stellt unangenehme Fragen. Wie auch die Wiener Studierenden, die gegen den Willen der Einwohner den vernachlässigten jüdischen Friedhof instand setzen wollen ...

Ein Juwel, das alles andere im Bücherregal zu überstrahlen vermag - es gibt mit "Dunkelblum" nichts Vergleichbares. Eva Menasse gehört zu den ganz Großen unter den deutschsprachigen Schriftsteller(inne)n. Ihr Können entlockt einem mehr als ein lautes "Wow, wow, wow!". Ihr neuester Roman sorgt zudem für Gänsehaut am ganzen Körper, nicht nur ob der Story, sondern noch mehr wegen Menasses schriftstellerischer Begabung. Diese ist nämlich zum Niederknien! Vom ersten bis zum letzten Satz zieht die Geschichte den Leser in den Bann. Diese besitzt eine enorme Sogwirkung, der man sich partout nicht entziehen kann, auch gar nicht entziehen möchte. Das ist von äußerster Seltenheit! Menasse gelingt ein großer Wurf. Denn sie macht die Vergangenheit wieder präsent. Danke dafür!

Eva Menasses Erzählkunst ist nicht nur von einzigartig poetischer Schönheit, sondern absolut überwältigend ab dem ersten Satz. Was sie schreibt, macht den Leser ganz schwindelig, außerdem so high wie sonst nur noch Drogen. "Dunkelblum" gehört zu den Büchern, die man in seinem Leben unbedingt gelesen haben muss. Um dieses Highlight kommt niemand herum. Für ihre schriftstellerische Glanzleistung hat die österreichische Autorin mindestens einen Literaturpreis verdient, und zwar einen der renommierten wie zum Beispiel den Georg-Büchner- oder Deutschen Buchpreis. Hut ab für Menasses Talent!

Susann Fleischer 
18.10.2021

 
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Das Buch:

Eva Menasse: Dunkelblum

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Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021 528 S., € 25,00 ISBN: 978-3-462-04790-5

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